Vorurteile und Diskriminierungen machen krank – zu diesem Ergebnis kommt die Grundlagenstudie der IKK classic, durchgeführt vom rheingold Institut.
Das rheingold Institut hat für die IKK Classic eine Grundlagenstudie zum Thema Vorurteile und Diskriminierung im Beruf gemacht. Für ein gesundes Miteinander gehört also dazu, Diskriminierung gar nicht erst zuzulassen und Vorurteile abzubauen. Die Herausforderung: Wie lassen sich Vorurteile, die über Jahrzehnte gewachsen sind und sich in Sekundenbruchteilen zeigen, aus den Köpfen verbannen? Dr. Jens Förster, Sozialpsychologe, systemischer Therapeut, Supervisor, Coach und Autor des Buches "Schublade auf, Schublade zu. Die verheerende Macht der Vorurteile" gibt Antworten. Er forscht seit über 30 Jahren zu Vorurteilen, Diskriminierung und Stereotypen.
Herr Dr. Förster, haben Sie ein Beispiel für Diskriminierung, das Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist? Dr. Jens Förster: Wir haben Klienten und Klientinnen aus der queeren Szene, die überfordert sind, an einem Burnout leiden oder kurz davorstehen. Und was sie berichten, ist, dass sie vor allen Dingen zeitaufwändige Aufgaben zugeschustert bekommen. Da scheint diese stereotype Assoziation zu wirken, dass diese Menschen sowieso keine Kinder zuhause hätten oder am Wochenende nicht wüssten, was sie machen sollen. Und besonders während der Corona-Pandemie hat sich das noch stärker ausgewirkt. Wahrscheinlich ist das nicht mal absichtlich passiert, diese Vorurteile wirken oft im Unterbewusstsein. Noch ein Beispiel: Inzwischen werden Firmen gefördert, wenn sie Menschen mit Behinderungen einstellen. Doch viele Firmen zahlen lieber Strafgelder als diese Personen einzustellen. Das zeigt auch, wie schwierig es für Menschen mit Behinderungen ist, in Deutschland eine Stelle zu finden. Das ist manchmal eine bewusste Entscheidung. Vielen erscheint es zu aufwändig, sich auf behinderte Angestellte einzulassen. Und manchmal passiert es auch unbewusst – man nimmt sich nicht die Zeit, alle Bewerbungen genau anzuschauen, und alles, was irgendwie anders ist als die eigene Vorstellung, wird spontan aussortiert. Auch hier sehen wir einen, wie ich finde, ziemlich krassen und unerwünschten Fall von starker Diskriminierung.
Was ist der Unterschied zwischen bewussten und unterbewussten Vorurteilen? Förster: Ein bewusstes Vorurteil liegt zum Beispiel vor, wenn ein Firmenchef oder eine Firmenchefin wirklich meint, dass bestimmte Personengruppen nicht in die Führungsetage gehören. Und das betrifft in Deutschland eben leider häufig Migranten, Migrantinnen und Frauen, die in Bewerbungsverfahren bewusst aussortiert werden. Bei unserer Forschung haben wir jedoch auch entdeckt, dass auch Menschen, die tolerant sein wollen, unbewusste Vorurteile haben. Die kommen zum Vorschein, wenn man sie unter Stress setzt, wenn sie müde oder unter Zeitdruck sind oder Alkohol getrunken haben. Dann sind sie eher geneigt, bestimmte Personengruppen aus Entscheidungen auszusortieren, zum Beispiel bei Personalentscheidungen. Das passiert gerade dann, wenn man sich dieser stereotypen Assoziationen, die wir in unserer Gesellschaft gespeichert haben, nicht bewusst wird. Sie treten in dem Moment hervor, in dem man stereotype Assoziationen wirken lässt, die man vielleicht als Kind gelernt hat.
Woher kommen diese stereotypen Assoziationen? Förster: Das sind Stereotype, die in unserem kollektiven Bewusstsein gespeichert sind. Um sie zu ändern, braucht es im Prinzip eine gesellschaftliche Veränderung. Da gibt es auch Unterschiede zwischen den Nationen. Wenn man zum Beispiel Deutsche fragt, was sie mit Altsein verbinden, nennen sie oft Begriffe wie Demenz, Pflegeheim, unattraktiv, langsam oder vergesslich. Wenn man asiatische Versuchspersonen fragt, was sie mit Alten verbinden, dann nennen diese eher Begriffe wie erfahren, weise, klug oder beweglich. Das heißt, unsere Gesellschaft prägt diese Assoziationen. Und dagegen können wir uns auch erstmal nicht so schnell wehren. Und auch die Medien haben dabei einen größeren Einfluss auf uns, als wir vielleicht denken möchten. Denn das, was wir zum Beispiel als Rollenverständnis in Filmen sehen, speichert sich auch in unserem Gedächtnis ab. Wenn wir immer alte Leute sehen, die Häkeljäckchen tragen, leicht verwirrt sind und Rouladen kochen für den Enkel, dann wird dieses Bild von Alten automatisch von uns im Gedächtnis gespeichert. Oder wenn wir im Tatort nur männliche, weiße Ärzte sehen, dann speichert sich auch dieses Bild ab. Dann haben wir den Eindruck, Menschen mit Migrationshintergrund oder Frauen passen wohl nicht in diese Berufe oder sind dafür nicht gut genug. Das führt dazu, dass Minderheiten sich gar nicht vorstellen können, dass sie auch in verantwortlichen Positionen als Ärztin oder Arzt arbeiten können. Insofern sind die Medienschaffenden auch mitverantwortlich dafür, welche Bilder wir von bestimmten Gruppen haben. Hier zeigt allerdings meine Erfahrung, dass in den letzten Jahren Drehbuchautorinnen und -autoren immer öfter Bilder liefern, die erstens der Wirklichkeit eher entsprechen und zweitens Bilder liefern, die mehr Vielfalt zeigen.
Was kann man tun, um Vorurteile abzubauen oder deren Entstehung zu verhindern? Förster: Weil diese Stereotype und Vorurteile in der Kindheit schon angelegt sind, ist es ganz wichtig, dass Schulen und Bildungsanstalten präventiv agieren. Sie müssen größtmögliche Vielfalt ermöglichen, Menschen unterschiedlicher Gruppen inkludieren und Kontakt mit Minderheiten herstellen. Wir wissen inzwischen, dass Kontakt zu Minderheiten das beste Mittel ist, um stereotypen Assoziationen und Diskriminierungen vorzubeugen. Das betrifft nicht nur den Umgang miteinander, sondern auch die eingesetzten Medien. Wie sind die Schul- und Kinderbücher gestaltet? Wie sind Serien und Filme für Kinder gestaltet, um präventiv arbeiten zu können? Für die erwachsene Generation andererseits geht es häufig darum, alte Stereotype, die sie gelernt hat, auch umzulernen und dafür offen zu sein, dass wir alle Vorurteile haben.
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Wir werden unsere Vorurteile nicht loswerden, aber es gibt in bestimmten Arbeitsbereichen und in bestimmten Alltagsbereichen auch Stereotype, die einfach nicht weiterhelfen. Wenn wir zum Beispiel beim Sport schauen, wie da Spieler und Spielerinnen diskriminiert werden, nur weil sie eine andere Hautfarbe haben. Oder wenn wir im Alltag sehen, wie Menschen mit unterschiedlichen Körperformen unterschiedlich beurteilt werden, dann sollte man sich bewusstwerden, was diese Diskriminierung mit den Menschen macht. Es kann helfen, die Perspektive zu wechseln: Wie würde es mir denn gehen? Denn es kann ja jedem aus heiterem Himmel heraus ein Unfall passieren, nach dem man beeinträchtigt ist oder behindert wird. Und wir alle werden irgendwann mal alt sein. Wer möchte dann schon diskriminiert werden?
Mehr InformationenHintergrund Wie entstehen Vorurteile und welche Auswirkungen hat Diskriminierung auf die Gesundheit? In der vierteiligen IKK YouTube Serie #VorurteileMachenKrank erzählen Betroffene von ihren Erfahrungen und Forscher informieren über den aktuellen Stand der Wissenschaft.