ZDH-Präsident Jörg Dittrich im Interview

ZDH-Präsident Jörg Dittrich im Interview (Foto: © ZDH/Sascha Schneider)

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In der Politik fehlen die Ziele

Betriebsführung

Jörg Dittrich ist seit rund zehn Monaten als Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks im Amt. Der Dresdner Kammerpräsident sieht vor allem im Fachkräftemangel und der Bürokratie eine hohe Belastung für die Betriebe und fordert von der Politik gegenzusteuern.

DHB: Immobilienbesitzer stöhnen, dass sie keine Handwerker für Renovierungen kriegen. Verbände klagen über die schlechte Situation am Bau. Wie passt das zusammen?
Dittrich: Ja, das passt zusammen, denn die Warnungen in den vergangenen Wochen bezogen sich nicht auf die aktuellen Bauvorhaben, bei denen in der Tat noch gut zu tun ist und Aufträge abgearbeitet werden, sondern darauf, wie dramatisch es durch den Rückgang an Baugenehmigungen und Baufinanzierungen zu werden droht, wenn nicht rechtzeitig gegengesteuert wird. Alle vorlaufenden Indikatoren signalisieren nur eines: Wenn politisch nicht gehandelt wird, steuert das Baugewerbe in eine massive Krise, droht ein Personal- und Kapazitätsabbau, der sich nicht wieder umkehren lässt und uns langfristig schmerzhaft auf die Füße fallen würde. Ohne eine ausreichende Anzahl von Fachkräften sind die anstehenden Aufgaben bei Infrastruktur und Wohnungsbau dann nicht zu bewältigen. Offenbar genau wegen dieser eindringlichen Warnungen und Appelle hat die Bundesregierung auf dem Wohnungsbaugipfel einen Maßnahmenplan vorgelegt, mit denen ein solch drohender Crash noch abgewendet werden soll. Dafür muss aber jetzt wirklich Tempo gemacht werden, die beschlossenen Maßnahmen auch umzusetzen.  

DHB: Die Handwerkskonjunktur läuft hinter der allgemeinen Konjunktur hinterher?
Dittrich: Das ist im Bau immer schon so gewesen, im positiven wie im negativen Sinne. Gerade im Bau- und Ausbauhandwerk zeigen sich allgemeine konjunkturelle Entwicklungen oft erst ein, zwei Jahre verzögert. Am Wohnungsbau lässt sich der Dominoeffekt sehr gut veranschaulichen: Insolvente Bauträger bezahlen ihre Handwerksbetriebe nicht mehr, eigentlich gesunde Betriebe werden mitgerissen. Diese Entwicklung hat nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine sozialpolitische Dimension. Es kommen viele Zuwanderer, wir haben aber keinen ausreichenden Wohnraum. Es darf nicht sein, dass wir sehenden Auges in Kauf nehmen, dass dieser Markt zusammenbricht. Deshalb müssen jetzt Zielmarken her, bis wann die auf dem Wohnungsbaugipfel beschlossenen Maßnahmen umgesetzt sind, damit die Bauwirtschaft wieder durchstarten kann. Die Maßnahmen dürfen auch nicht durch politisches Gerangel zwischen Bund, Ländern und Kommunen verzögert werden.

DHB: Das ist auch eine Frage des gesellschaftlichen Klimas. Laut einer IW- Studie sehen befragte Wirtschaftsverbände die AFD mehr als politisches und weniger als wirtschaftliches Risiko für den Standort Deutschland. Wie beurteilen Sie das?
Dittrich: Zunächst muss man festhalten, dass wir in disruptiven Zeiten leben, mit Themen wie Klimawandel, demographischem Wandel, Digitalisierung. Die einen wollen ihren Status quo bewahren, die anderen alles radikal ändern. Das läuft auf eine Spaltung von Gesellschaften hinaus. Es ist aber nicht nur in Deutschland, sondern weltweit zu beobachten, dass die Gräben tiefer werden. Als Handwerkspräsident habe ich keine Parteipositionen zu vertreten, sondern bin ausdrücklich überparteilich für die Interessen der Betriebe und deren Beschäftigten unterwegs. Es ist an der Politik, Antworten zu finden und Lösungen, um dieser Polarisierung entgegenzutreten. Doch wir alle sind gefragt, wenn es darum geht, unsere Kompromissfähigkeit mit Leben zu füllen. Kompromisse zu finden, das hat die Demokratie und das sozialpartnerschaftliche Zusammenarbeiten nachweislich gestärkt. Daher sollten wir alle dazu beitragen, dass das Wort Kompromiss nicht als Schwäche oder Niederlage ausgelegt wird.

DHB: Sie bestätigen also das Studienergebnis?
Dittrich: Tatsächlich mache ich mir Gedanken über die gesellschaftlichen Strömungen, die immer härter aufeinanderprallen. Das Verständnis füreinander scheint verloren zu gehen. Doch ich bin davon überzeugt, dass wir im Gespräch bleiben müssen. Gemeinsam besprochene Wege, die dann umgesetzt werden, tragen zu einem stärkeren gesellschaftlichen Zusammenhalt bei. Gerade weil das Selbstverständnis des Handwerks ist, nicht nur eine Wirtschafts-, sondern auch eine Gesellschaftsgruppe zu sein. Auch wir bleiben von diesen Polarisierungen nicht unberührt und sollten als Handwerksorganisation einen konstruktiven Beitrag als handelnder Akteur leisten. Wir können positives Wissen und Erfahrungen der Handwerksfamilie einbringen. 

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DHB: Haben Sie ein Beispiel?
Dittrich: Nehmen Sie das sogenannte Heizungsgesetz. Der erste Entwurf war so schlecht, dass er massiv verändert wurde. Aber diese Änderungen am Ursprungsentwurf sind bei vielen Menschen gar nicht angekommen. Bei denen hat sich festgesetzt, dass überfordernde finanzielle Belastungen und womöglich ein Heizungstausch auf sie zukommt. Das hat die Fronten verhärtet. Hängengeblieben ist der Eindruck, dass Politik ökologische Ziele auf Biegen und Brechen umzusetzen beabsichtigt - ohne Kompromiss, koste es, was es wolle. Doch nach meinem Verständnis müssen Ökologie und Ökonomie zusammen gedacht werden: Wir müssen aufpassen, dass wir Menschen ökonomisch nicht überfordern und Lösungswege finden, die nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch und sozial zusammenpassen.

DHB: Haben Sie das Gefühl, dass das Handwerk bei politischen Entscheidungen nicht nur gehört, sondern auch berücksichtigt wird?
Dittrich: Es wäre falsch zu sagen, wir werden nicht gehört. Wir werden auch wertgeschätzt. Doch das mündet dann nicht in entsprechende Handlungen. Oft höre ich: Ja, Sie haben Recht, da müssen wir was machen – und dann? Passiert trotzdem nichts. Ich würde mir eindeutig ein entschiedeneres Handeln überall da wünschen, wo Schwachpunkte offensichtlich sind.

DHB: Die großen Problemfelder des Handwerks sind schon seit langem die Bürokratie und Fachkräftemangel. Hat sich da schon etwas getan?
Dittrich: Den Fachkräftebedarf zu decken, das ist noch schwieriger, als beim Bürokratieabbau voranzukommen, denn künftige Fachkräfte fallen nicht vom Himmel. Bei beiden Themen ist der Handlungsdruck sehr groß, doch wir nähern uns nur zögerlich Lösungen an. Dabei muss auch der Politik klar sein, dass die so hoch gewichteten Themen wie die Bekämpfung des Klimawandels und die damit verbundenen Herausforderungen nur mit dem Handwerk erfolgreich angegangen werden können. Sollen politische Ziele - wie etwa der Einbau von 500 000 Wärmepumpen - überhaupt eine Chance auf Umsetzung haben, dann muss die Politik mit uns vor allem auch über den Abbau von Bürokratie und die Wege zur Fachkräftesicherung sprechen.

DHB: Der Leiter des Berufsbildungsinstituts, Prof. Dr. Hubert Esser, spricht von der Fachkräftekatastrophe …
Dittrich: … was mir zu pessimistisch klingt. Das hört sich so an, als wenn es über uns hereinbricht und wir bereits kapitulieren, statt zu handeln. Es darf nicht so weit kommen. Aber Tatsache ist, dass die Studierendenzahlen in den letzten 10 Jahren explodiert sind, während immer weniger junge Menschen in die berufliche Bildung gingen. Die aktuellen Bildungsströme gehen an den Bedürfnissen von Gesellschaft und Wirtschaft vorbei, da gibt es Fehlentwicklungen: Zu viele Menschen studieren, haben vielleicht später schlechtere berufliche Chancen. Auf der anderen Seite machen zu wenig Menschen eine Berufsausbildung, um zum Beispiel eine Wärmepumpe oder Solarpanele zu installieren oder die Elektronik für ein Smart-Home einbauen zu können. Überall setzt sich Politik Ziele: 500.000 Wärmepumpen, 400.000 Wohnungen und andere, aber bei der Anzahl an Auszubildenden scheuen wir die nötigen Entscheidungen, obwohl wir wissen,  wie viele Fachkräfte uns fehlen werden, wenn wir nicht gegensteuern.

DHB: Es fehlt auch an der finanziellen Ausstattung der Berufsbildung.
Dittrich: Richtig, die Finanzierung der beruflichen Bildung hinkt der im akademischen Bereich in einer Weise hinterher, die in eklatantem Widerspruch zur Bedeutung der beruflichen Bildung steht. Das muss sich wirklich grundsätzlich ändern. Von einer gleichwertigen Behandlung beider Bildungsbereiche sind wir noch meilenweit entfernt. Wichtig in diesem Themenfeld ist auch, die Berufsbilder den technologischen Entwicklungen anzupassen, das müssen die Sozialpartner gemeinsam angehen. Da ist auch das Handwerk gefordert und muss sich bewegen.

DHB: In Sachen Berufsbilder gibt es die unterschiedlichsten Vorschläge, von Modulausbildungen, verkürzten Ausbildungen und sogar aus der Industrie für die Klimagewerke. Droht die Industrie mit ihren Vorschlägen, die berufliche Bildung auszuhöhlen?
Dittrich: Die Gefahr ist latent gegeben, aber Druck war schon immer Ansporn für das Handwerk. Wir haben eine starke Organisation und können uns mit konkreten Vorschlägen Gehör verschaffen. Generell habe ich höchstes Misstrauen, wenn eine Firma als Marktteilnehmerin meint zu wissen, was geschult werden muss. Gern kann sie das mit den Sozialpartnern diskutieren, aber im Rahmen des bewährten dualen Ausbildungssystems, was uns stark gemacht hat. Das heißt, es kann nicht um Zertifizierung gehen, sondern Qualifizierung muss weiter die Richtschnur sein, und zwar eine, die die Fachkräfte und Meister im Fokus hat.

DHB: Was tut das Handwerk denn selbst?
Dittrich: Im Gegensatz zur Industrie liefern wir aus dem Handwerk konkrete Antworten für die Qualifizierung zur Klimawende. Im letzten Jahr haben wir die Rahmenlehrpläne für die Überbetriebliche Lehrlingsunterweisung (ÜLU) beim Anlagemechaniker SHK oder beim Schornsteinfeger modernisiert. Auszubildende werden nun umfassender zur Wärmepumpe in der ÜLU geschult. Zudem haben die klimabezogenen Gewerke und Fachverbände in den letzten Monaten gezielt ihr Weiterbildungsangebot beispielsweise rund um die Wärmepumpe oder um Solaranlagen für Fachkräfte im Handwerk ausgebaut – sogar gewerkeübergreifend. Die Wirkung bestätigt eine aktuelle Umfrage des Zentralverbandes Sanitär, Heizung, Klima: Konnten zu Beginn 2022 rund 30 % der Fachbetriebe auch Wärmepumpen einbauen, so sind es mittlerweile über 80 % der Betriebe. Das zeigt, dass das Handwerk Umsetzer der Klimawende im doppelten Sinne ist - sowohl in der Bildung und Qualifizierung als auch bei der Installation und Wartung.

DHB: Ein Beispiel sind die Solateure, die nur ein Zertifikat erhalten …
Dittrich: … und die Fehler, die sie jetzt bei der Montage und Installation machen, werden irgendwann dem Handwerk zugerechnet. Dass diese Fehler Menschen ohne Qualifikation verursacht haben, wird dann niemanden interessieren. Dem müssen wir vorbeugen, diese absehbaren Fehlentwicklungen aufzeigen, aber auch als Handwerksorganisation darauf reagieren mit entsprechenden Angeboten. 

DHB: Wie ist es denn speziell um die Berufsbildungsstätten des Handwerks bestellt, sind diese modern genug, um für junge Menschen attraktiv zu sein?
Dittrich: Die Berufsbildungsstätten haben einen enormen Investitionsbedarf: Wir beziffern den für die kommenden Jahre auf mehr als eine Milliarde Euro. Dies ist so im Bundeshaushalt bei weitem nicht berücksichtigt. Im Gegenteil kämpfen wir gerade dafür, dass kurzfristig für alle notwendigen Modernisierungen und Neubauten die Mittel aufgestockt werden. Mittelfristig setzen wir alles daran, dass ein stabiler und verlässlicher Finanzrahmen geschaffen wird, der auskömmlich ist und uns Planungssicherheit gibt, um attraktive Lehr- und Lernorte für die berufliche Bildung im Handwerk zu schaffen und zu erhalten. Das ist mit den in der Vergangenheit eingestellten Zuschüssen nicht mehr möglich, unter anderem auch weil die baulichen Anforderungen und die Baupreise stark gestiegen sind. Und wir müssen dafür kämpfen, dass die Mittel für die ÜLU im Zuge der aktuellen Haushaltsberatungen nicht gekürzt werden, und da geht es um eher geringe Millionenbeträge. Hier schließt sich wieder der Kreis: Die berufliche Bildung ist in keiner Weise ausreichend finanziert. Es kann nicht sein, dass die Politik glaubt, dass sich die Handwerksbetriebe alleine um die berufliche Bildung kümmern müssen. Das umso weniger, als es darum geht, die Fachkräfte zu sichern, die die Gesellschaft die Umsetzung politischer Zielsetzung so dringend braucht.

DHB: Kann die Digitalisierung den Fachkräftemangel im Handwerk noch stärker kompensieren?
Dittrich: Da gibt es sicherlich ein großes Potenzial, vor allem wenn es darum geht, körperlich besonders schwere oder aber monotone Arbeitsschritte zu übernehmen. Wir müssen Vorarbeiten stärker automatisieren. Da stellt sich mir die Frage: Wie kann man das auf die Baustelle transferieren? Die Ideen müssen aus dem Handwerk kommen, die kann weder die Industrie noch die Wissenschaft liefern. Je preiswerter diese Technologien und je knapper gleichzeitig die Mitarbeiter und je höher die Löhne werden, desto mehr Digitalisierung lässt sich vorantreiben. So könnte ein treppengängiger Roboter Fliesen für eine Badsanierung in den vierten Stock tragen. Ein anderes Beispiel ist der 3D-Druck für einzelne Bauteile. Wir kaufen nur noch die Druckvorlage, drucken das Bauteil vor Ort im Fahrzeug aus und bauen es direkt auf der Baustelle ein.

DHB: Das wäre ein digitales Geschäftsmodell.
Dittrich: Natürlich, weil das Logistik, Zeit und damit Personal sowie Kosten spart. Aber dann kommt wieder die Bürokratie ins Spiel. Solche Projekte scheitern derzeit noch am CE-Prüfzeichen. Daher muss die Frage erlaubt sein, ob das auch wirklich zum Beispiel für jeden Rohrbogen erforderlich ist.

DHB: Solange es diese Hürden gibt, sind Fachkräfte aus dem Ausland eine Alternative?
Dittrich: Die Integration von Menschen, die in unsere Kultur- und Arbeitswelt einwandern, ist eine große Herausforderung. Wegen der demografischen Entwicklung und des großen Fachkräftebedarfs werden wir jedoch in jedem Fall die gesteuerte Zuwanderung brauchen. Es geht um Menschen, die kommen, um sich in unseren Systemen zu qualifizieren, und die hier arbeiten wollen. Das gerade beschlossene Fachkräfteeinwanderungsgesetz geht in die richtige Richtung, aber die Kraft in der Umsetzung kann ich noch nicht erkennen, beispielsweise bei der Ausstellung von Visa. Wenn wir Zuwanderung in Familienbetriebe wollen, müssen wir ihnen eine einzige Anlaufstelle, eine One-Stop-Agency, anbieten, die alle Themen komplett managt. Sonst scheitern wir auch hier an der Bürokratie.

Die Fragen stellten Irmke Frömling und Stefan Buhren

Text: / handwerksblatt.de

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