"Demonstrieren ist gut, installieren noch besser"
Im "Sommer der Berufsbildung" sollen unentschlossene Schulabgänger noch für eine duale Ausbildung gewonnen werden. Beim zweiten Aktionstag in Berlin standen innovative Formate der Berufsorientierung im Fokus.
Die Berufsorientierung hat unter der Corona-Pandemie gelitten. Viele Jugendliche sind verunsichert, wie es nach der Schule weitergeht. "Ihnen fehlt die Orientierung, worin ihr Talent liegt und woran sie Spaß haben könnten", beobachtet Anja Karliczek (CDU).
Die Bundesbildungsministerin hat beim Aktionstag "Gut orientiert! – jetzt in eine #AusbildungSTARTEN" mit Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer, der Berliner HWK-Präsidentin Carola Zarth und dem Geschäftsführer der BWK Bildungswerk in Kreuzberg GmbH, Nihat Sorgec, darüber gesprochen, wie sich junge Menschen im bereits laufenden Ausbildungsjahr noch für eine Berufsausbildung gewinnen lassen. Im Fokus der Diskussionsrunde an einem Oberstufenzentrum in Berlin-Kreuzberg standen innovative Formate der Berufsorientierung.
Berufsberatung auf dem Klappstuhl
Carola Zarth, Präsidentin der HWK Berlin Foto: © Screenshot Livestream BMBFDas Konzept der Handwerkskammer (HWK) Berlin bezeichnet Carola Zarth als relativ hemdsärmelig. "Als wir corona-bedingt nicht mehr in die Schulen gehen konnten, haben sich unsere Ausbildungsberaterinnen und Ausbildungsberater quasi mit Klapptisch und Klappstuhl auf die Straßen und Plätze gestellt und die jungen Menschen vor Ort beraten", beschreibt die HWK-Präsidentin das durch die Pandemie entstandene "KarriereMobil".
Die aufsuchende Beratung hat sich aus ihrer Sicht nach einem Jahr bewährt und soll auch nach der Öffnung der Schulen fortgeführt werden. "Wir wollen die jungen Leute mit dem KarriereMobil dort abholen, wo wir sie finden – in den Berliner Bezirken, in ihrem Wohnumfeld."
Mit der App zur Ausbildung im Kiez
Nihat Sorgec (r.) im Dialog mit Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (M.) Foto: © Screenshot Livestream BMBFDie BWK BildungsWerk in Kreuzberg GmbH qualifiziert Berufsrückkehrer, Arbeitslose und junge Menschen. Ein besondere Schwerpunkt liegt auf der Umschulung, Weiterbildung und Ausbildung von Migranten. "Viele kennen die duale Ausbildung nicht und betrachten sie als eine Sackgasse.
Dabei öffnet eine Ausbildung die Tür in alle möglichen Richtungen", weiß BWK-Geschäftsführer Nihat Sorgec aus eigener beruflicher Erfahrung. Aus seiner Sicht müssten Menschen mit Zuwanderungsgeschichte besser über eine duale Berufsausbildung und die Aufstiegschancen informiert werden.
Als der persönliche Kontakt mit den Lehrgangsteilnehmern in den Werkstätten aufgrund der Pandemie nicht mehr möglich gewesen sei, habe das BWK die App "JOBWalk – die Berufsrouten" entwickelt. "Unsere Schüler können sich über 40 Ausbildungsberufe informieren und darüber direkt Ausbildungsbetriebe aus ihrer Umgebung finden und kontaktieren." Bislang habe man 6.000 Menschen mit der App erreichen können.
Digitale Formate des Handwerks
ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer Foto: © Screenshot Livestream BMBFDer Anfang des Jahres stand für Hans Peter Wollseifer unter schwierigen Vorzeichen. Persönliche Kontakte der Ausbildungsbotschafter, der Beraterinnen und Berater der Kammern, Innungen und Kreishandwerkerschaften sowie der Betriebe mit den Schülerinnen und Schülern waren nahezu unmöglich.
"Daraufhin haben wir mit digitalen Angeboten ganz schnell umgeswitcht." Als Beispiele führt der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH) WhatsApp-Sprechstunden, virtuelle Ausbildungsberatung sowie den digitalen Berufe-Checker an.
Corona sorgt für Aufbruchstimmung
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek Foto: © Screenshot Livestream BMBFBei der Digitalisierung der Berufsorientierung stehe man erst am Anfang, stellte Anja Karliczek fest. Durch die Pandemie sei jedoch eine Aufbruchstimmung entstanden. Digitale Formate könnten einen Beitrag dazu leisten, wesentlich individueller auf die Unterschiedlichkeit junger Menschen einzugehen.
Ein Praktikum ersetzen sie aber nicht – darin waren sich die Bundesbildungsministerin und ZDH-Präsident Wollseifer einig. "Man kann sich vieles theoretisch erarbeiten, aber die praktischen Erfahrungen sind noch wichtiger", steht für Hans Peter Wollseifer fest. Dies sei im Rahmen eines 14-tägigen Praktikums, aber auch während eines Jahrespraktikums möglich, das auf eine darauffolgende Lehre angerechnet werden könne.
Später Einstieg in Ausbildung
Das Ausbildungsjahr 2021/22 läuft bereits. Doch selbst "vier, sechs oder acht Wochen später" könne man noch mit einer Ausbildung beginnen, versichert Bundesbildungsministerin Anja Karliczek. Dazu wolle man die Jugendlichen im "Sommer der Berufsbildung" mit dem Appell #AusbildungSTARTEN ermutigen.
ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer sieht das Handwerk bei der Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge bereits auf einem guten Weg. Gegenüber dem Vorjahr liege man bei einem Plus von 6,5 Prozent. Allerdings seien immer noch 30.000 freie Lehrstellen zu besetzen.
Allen engagierten und umweltpolitisch interessierten Jugendlichen, denen etwas am Klimaschutz, an der Energieeffizienz oder E-Mobilität liegt, empfiehlt er, ins Handwerk zu kommen. "Demonstrieren ist gut, aber installieren ist noch besser."
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Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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