Barrieren überwinden – behinderte Mitarbeiter einstellen
Behinderte Mitarbeiter einstellen? Viele Arbeitgeber zucken bei der Vorstellung zurück. Doch wer Menschen mit Behinderung einstellt, kann einige Tausend Euro an Fördermitteln bekommen.
Auf dem Hof der Tischlerei Hastrich im Örtchen Happerschoß bei Hennef an der Sieg steht ein neuer Transporter. Chef Dieter Hastrich hat ihn für Jörg Gippert angeschafft. Der 37-Jährige ist seit Juni 2005 in dem Familienbetrieb, der sich auf Wintergärten spezialisiert hat, beschäftigt. Mechaniker Gippert benötigt den Wagen für seine Montagefahrten. 37.000 Euro hat der Transporter gekostet, insgesamt 30.000 Euro der Leasingraten übernahm das Integrationsamt beim Landschaftsverband Rheinland, denn der Mitarbeiter von Dieter Hastrich ist seit Kindestagen an stark schwerhörig.
Integrationsamt übernimmt einen Teil der Kosten
Foto: © Wolfgang Steiner/123RF.com Dass Gippert dank seiner Hörgeräte keinerlei Verständigungsprobleme hat, war nicht ausschlaggebend für die Förderung. "Was zählt, ist nicht die Art der Behinderung, sondern die Tatsache, dass der Behinderungsgrad mindestens 50 beträgt", erklärt Marco Wilmsen, Fachberater der Handwerkskammer zu Köln. Dann übernimmt das Integrationsamt bis zu 80 Prozent der Kosten, die für die Schaffung und Umgestaltung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes nötig sind, etwa für Maschinen oder ein Fahrzeug. 6.000 Euro maximal gibt es im Rheinland pro Jahr über eine Laufzeit von fünf Jahren. Andere Regionen haben ähnliche Fördersummen.
Fördermittel gibt es auch von der Arbeitsagentur
"Diabetes, eine frühere Krebserkrankung, starker Bluthochdruck – es gibt auch viele Krankheiten, die die Arbeit kaum beeinträchtigen, die aber als Schwerbehinderung gelten", so Wilmsen. Und Arbeitgeber, die einem schwerbehinderten Menschen Arbeit geben, können Fördermittel sowohl vom Integrationsamt als auch von der Bundesagentur für Arbeit erhalten.
Das ist bei Arbeitgebern wenig bekannt. Auch, dass ein neuer Mitarbeiter erst nach sechs Monaten Probezeit in den Genuss des besonderen Kündigungsschutzes kommt. Der Bauingenieur leistet jede Menge Aufklärungsarbeit. Genau wie die Berater bei den Handwerkskammern Düsseldorf und Aachen, deren Stellen ebenfalls der LVR in Kooperation mit den Kammern geschaffen hat, sowie die Berater in Münster, Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld, Arnsberg und Dortmund, deren Stellen vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe ermöglicht werden.
Wenn die Berater einen Arbeitgeber überzeugt haben, dann übernehmen sie für ihn sämtliche Ämterkontakte, damit die Fördermittel schnell fließen. "Ohne Marco Wilmsen würde ich bis heute keinen Euro sehen. Die Formalitäten sind doch recht kompliziert, wenn man sie neben dem täglichen Geschäft erledigen müsste", sagt zum Beispiel Malermeister Reinhard Götz aus Köln. Zwei seiner 14 Mitarbeiter sind gehörlos.
Einer der beiden Gehörlosen ist Oliver Schulz. Mehrere 100 Bewerbungen für eine Lehrstelle hatte er geschrieben. Ohne Erfolg. Erst Reinhard Götz gab Schulz den Lehrvertrag, obwohl er auf seine Stellenausschreibung 300 weitere Bewerber hatte. "Ein junger Mann, der sich derart engagiert, muss eine Chance bekommen", sagte sich der Malermeister, der zeitgleich noch Frank Bauer – ebenfalls gehörlos – als Helfer eingestellt hat. Oliver Schulz ist im ersten Lehrjahr zum Bauten- und Objektbeschichter. Wenn es weiter so gut läuft, wird er im dritten Lehrjahr zum Maler- und Lackierer ausgebildet.
"Die sind unglaublich motiviert"
Foto: © arnoaltix/123RF.com Neben den Kosten für die Einrichtung des Arbeitsplatzes beteiligt sich das Integrationsamt auch an den Ausbildungskosten wie Prüfungsgebühren und Gebühren für die überbetriebliche Unterweisung. Ebenso den Gebärdendolmetscher für die Prüfungen.
Zusätzlich überweist die Agentur für Arbeit einen monatlichen Zuschuss zur Ausbildungsvergütung in Höhe von 326,55 Euro. Und es kommt jeden letzten Freitag im Monat eine Dolmetscherin in den Betrieb, damit der Chef mit seinen Mitarbeitern besser über aktuelle Anliegen sprechen kann. Götz ist sehr zufrieden mit seinen gehörlosen Mitarbeitern: "Die sind unglaublich motiviert."
"Bei dem Wort ,schwerbehindert' haben viele Arbeitgeber große Barrieren im Kopf", weiß Marco Wilmsen. Dass auch ein schwerbehinderter Mensch voll einsatzfähig sein kann, kann der Berater der HwK zu Köln den Handwerksmeistern an sich selbst anschaulich zeigen: Der 29-Jährige hatte vor drei Jahren einen schweren Motorradunfall und kann seither seinen linken Arm nicht mehr bewegen. "Auf der Computertastatur habe ich aber vorher auch nur mit einem Finger getippt", meint Marco Wilmsen. Und zum Autofahren hat er eine Spezialeinrichtung am Lenkrad. Solche technischen Hilfsmittel werden ebenfalls von der örtlichen Fürsorgestelle oder der Agentur für Arbeit finanziert. "Die Mittel dafür kommen aus der Ausgleichsabgabe", erklärt Wilmsen.
Diese Ausgleichsabgabe war auch ein Grund für Franz-Josef Gilgen aus Hennef, den lernbehinderten Mitarbeiter Martin Rojahn einzustellen. Die Bäckerei Gilgens hat 200 Mitarbeiter, davon 42 in der Produktion, und beliefert 27 Filialen im Umkreis. Einfache Aufgaben sind für Martin Rojahn eine echte Herausforderung. "Was Kollegen langweilen würde, macht er gerne", meint Produktionsleiter Franz-Josef Zimmermanns. Marco Wilmsen hat den früheren Anstreicher über den Integrationsfachdienst an die Großbäckerei vermittelt. Der 37-Jährige ist in dem Betrieb jetzt "Mädchen für alles." In erster Linie aber wechselt, wäscht und bügelt er Tücher für die Brötchendielen, also die Bretter, auf denen die Brötchen gebacken und ausgeliefert werden. 80 Prozent der Kosten für Waschmaschine, Trockner und Mangel hat das Integrationsamt finanziert. Weil Martin Rojahn zuvor arbeitslos war, bekommt sein neuer Arbeitgeber noch einen Lohnkostenzuschuss von der Agentur für Arbeit.
Die Bäckerei spart somit nicht nur die Ausgleichsabgabe, sie bekommt zusätzlich noch monatlich einen Teil des Arbeitgeberbruttogehalts über zwei Jahre überwiesen. Einen Einstellungszuschuss gab es obendrein. "Ich bin dafür da, für die Arbeitgeber das meiste herauszuholen", meint Marco Wilmsen. Seine engen Kontakte zum Integrationsamt, der Fürsorgestelle und der Arbeitsagentur beschleunigen das Antrags-Prozedere. "Das spricht sich dann unter den Betrieben herum, Kollegen stellen dann ebenfalls schwerbehinderte Menschen ein, und so ist beiden Seiten geholfen."
Institution / Ansprechpartner/ Kontaktdaten
Ausgleichsabgabe: Die Ausgleichsabgabe müssen Arbeitgeber zahlen, wenn sie mehr als 20 Mitarbeiter beschäftigen und die vorgeschriebene Zahl von schwerbehinderten Menschen nicht beschäftigen. Die Quote liegt bei mindestens fünf Prozent (Paragraf 71 Absatz 1 Sozialgesetzbuch IX). Das gilt auch für Unternehmen mit mehreren Betriebsteilen, also etwa Filialen. Arbeitgeber mit 21 bis 39 Arbeitsplätzen müssen demnach mindestens einen schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Tun sie das nicht, dann zahlen sie 105 Euro im Monat. Arbeitgeber mit bis zu 59 Arbeitsplätzen müssen zwei Pflichtplätze besetzen. Sie zahlen dann 105 Euro monatlich, wenn sie nur einen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, und 360 Euro (also 180 pro Person), wenn sie gar keinen beschäftigen. 260 Euro werden bei einer Beschäftigungsquote von unter zwei Prozent pro Person fällig. Da kommt im Jahr ein stolzes Sümmchen zusammen.
Text:
Ulrike Lotze /
handwerksblatt.de
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