Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hält das deutsche Kreditrecht für europarechtswidrig.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hält das deutsche Kreditrecht für europarechtswidrig. (Foto: © jakobradlgruber/123RF.com)

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Deutsche Banken verstoßen gegen Europarecht

Deutsche Kreditinstitute belehren Verbraucher beim Abschluss von Darlehen falsch über ihr Widerrufsrecht, sagt der Europäische Gerichtshof in einem aktuellen Urteil.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hält das deutsche Kreditrecht für europarechtswidrig. Verbraucherkreditverträge, etwa für Immobiliendarlehen oder Autofinanzierungen, müssen "in klarer und prägnanter Form die Modalitäten für die Berechnung der Widerrufsfrist angeben". Das sei bei den deutschen Verträgen, die vor Gericht verhandelt wurden, nicht der Fall, betonten die Luxemburger Richter. Es reiche nicht aus, dass der Vertrag auf eine nationale Vorschrift verweise, die selbst auf weitere Rechtsvorschriften verweise.

Dem deutschen Bundesgerichtshof (BGH), der seit Jahren anders entscheidet, attestierten die Europarichter damit, die Rechte der deutschen Verbraucher über Jahre hinweg europarechtswidrig beschnitten zu haben.

Der Fall

Ein Kunde der Kreissparkasse Saarlouis hatte dort 2012 einen grundpfandrechtlich gesicherten Kredit über 100.000 Euro mit 3,61 Prozent Zinsen aufgenommen. 2016 wollte er ihn widerrufen. Die Bank wies ihn zurück mit dem Hinweis, dass die Widerrufsfrist laut Vertrag nur 14 Tage betrug.

Der Kunde klagte daraufhin gegen die Klausel zum Widerrufsrecht, die sein Kreditvertrag enthielt: "Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrags, aber erst, nachdem der Darlehensnehmer alle Pflichtangaben nach § 492 Absatz 2 BGB (z. B. Angabe zur Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten hat."

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Diese Pflichtangaben standen aber nicht im Vertrag selbst. § 492 Abs. 2 BGB wiederum verweist auf weitere Rechtsvorschriften, etwa das Einführungsgesetz zum BGB.

Das Landgericht Saarbrücken legte die Frage dem EuGH vor, weil es erhebliche europarechtliche Bedenken an der Klausel und der Rechtsprechung des BGH hatte.

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Das Urteil

Nach der Rechtsprechung des EuGH sind diese Klauseln europarechtswidrig. Die Luxemburger Richter urteilten, dass eine solche Belehrung nicht ausreiche, um die Widerrufsfrist in Gang zu setzen. Dementsprechend kann ein Verbraucher in diesen Fällen den Widerruf noch lange nach der ursprünglich beabsichtigten Frist erklären. Das wird in den Medien als der sogenannte Widerrufsjoker bezeichnet.

Die EU-Richtlinie über Verbraucherkreditverträge solle Kunden ein hohes Maß an Schutz bieten, so der EUGH. Kreditverträge müssten deshalb klar und prägnant die Bedingungen für die Widerrufsfrist darlegen. Eine "Kaskadenverweisung", wie es in der Mitteilung des EuGH heißt, auf unterschiedliche Paragrafen im nationalen Recht biete diese Klarheit nicht, die Klausel entspreche somit nicht den europarechtlichen Erfordernissen.

Viele Verträge von dem EuGH-Urteil betroffen

Rechtsanwalt Dr. Christof Lehnen erklärt dazu: "Diese Klausel, die sich in nahezu jedem deutschen Kreditvertrag unter der Überschrift 'Widerrufsrecht' befindet, ermöglicht es dem Verbraucher nicht zu bestimmen, wann die Widerrufsfrist zu laufen beginnt." Bei nahezu allen Verträgen, die seit dem 11. Juni 2010 abgeschlossen wurden, belehrten die Kreditinstitute ihre Kunden unzureichend über den Beginn der Widerrufsfrist.

"Dabei ist das EuGH-Urteil für Experten keineswegs überraschend. Zahlreiche deutsche Gerichte, auch Oberlandesgerichte haben die Rechtswidrigkeit der Belehrung schon früh bestätigt", meint Lehnen. "Für viele überraschend hat der BGH dann aber mit Urteil vom 22. November 2016, Az. XI ZR 434/15 entschieden, dass die Belehrung über den Fristbeginn angeblich doch klar und verständlich sei." Europarechtliche Bedenken hatten die Karlsruher Richter nicht.

Praxistipp

Alle Verbraucher sollten ihre ab 11. Juni 2010 geschlossenen Kreditverträge von einer spezialisierten Kanzlei prüfen lassen, und zwar bevor sie den Vertrag widerrufen. Das gilt insbesondere für die Finanzierungen von selbst genutzten Wohnimmobilien oder für Autokredite. Aber auch die Finanzierungen von vermieteten Mehrfamilienhäusern oder Gewerbeimmobilien können widerrufbar sein.

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 26. März 2020, Az. C-66/19

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Text: / handwerksblatt.de

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