Schuhmachermeister und Handwerksunternehmer Bernd Wegner ist seit 2014 Präsident der Handwerkskammer des Saarlandes. Besonders beschäftigen ihn derzeit die Materialknappheit, der Mangel an handwerklichen Nachwuchsfachkräften sowie die Pläne der saarländischen Landesregierung, den Kommunen mehr Spielraum für eigene wirtschaftliche Tätigkeiten zu gewähren.
DHB: Die Entwicklung der Pandemie und die Hochwasserkatastrophe haben das Thema Materialknappheit zuletzt etwas in den Hintergrund treten lassen. Aber die Problematik beschäftigt Ihre Mitgliedsunternehmen doch sicher nach wie vor?
Wegner: Ja, die Lieferengpässe bei diversen Rohstoffen und Baumaterialen wie zum Beispiel Holz, Metall und Kunststoff belasten unsere Mitgliedsunternehmen immer noch stark und erschweren die Angebotserstellung und Angebotskalkulation, die Auftragsplanung und natürlich auch die Durchführung der Arbeiten selbst. Ich kenne Unternehmen, die aufgrund der Materialengpässe darüber nachdenken, Kurzarbeit anzumelden. Als Auftraggeberin ist auch unsere Handwerkskammer unmittelbar von der Problematik betroffen. Wir wollen bis 2024 auf dem Grundstück gegenüber unserer HwK eine neue Bildungsstätte bauen und kalkulieren derzeit mit Kosten von rund 45 Millionen Euro. Zwar haben wir für die Bauphase einen zehnprozentigen Kostenpuffer eingerechnet, allerdings sind die Preise auf den Rohstoffmärkten so hoch, dass wir unser Budget sehr wahrscheinlich zwischenzeitlich aufstocken müssen. Wir haben allerdings das Glück, diese zusätzliche finanzielle Last nicht allein tragen zu müssen, da der Bund mit 60 und das Land mit zehn Prozent an den Gesamtkosten beteiligt sind.
DHB: Ist es der Politik aus Ihrer Sicht gelungen, die Schwierigkeiten, die sich durch die Materialengpässe ergeben, für die Betriebe zumindest zu mildern?
Wegner: Ich meine, die Politik hat gut und richtig gehandelt, indem sie öffentliche Auftraggeber aufgerufen hat, Preisgleitklauseln einzuführen und bei Terminverzögerungen, die sich direkt aus verzögerten Materialzulieferungen ergeben, auf Vertragssanktionen zu verzichten. Viele öffentliche Auftraggeber setzen diese Erleichterungen für die Betriebe bereits um, zum Beispiel das saarländische Innenministerium und zahlreiche saarländische Kommunen. Im Bereich der privaten Bauvorhaben haben wir uns kürzlich dafür ausgesprochen, das bereits recht attraktive staatliche Förderangebot für Bau- und Saniervorhaben aufgrund der stark gestiegenen Materialpreise nochmals auszuweiten. Dadurch könnten auch zusätzliche Anreize für Immobilienbesitzer geschaffen werden, ihre Gebäude mit Blick auf Klimaschutz und Energieeffizienz zu sanieren und damit attraktiven Wohnraum zu schaffen.
DHB: Gerade im Baubereich hilft das sicherlich, weil die Auftragslage doch gut aussieht.
Wegner: Richtig! In vielen saarländischen Handwerksunternehmen, insbesondere in den Bereichen Bauhaupt- und Ausbau, liefen die Geschäfte 2020 trotz Corona verglichen mit anderen Branchen durchaus gut. Da Urlaube nur mit großen Einschränkungen möglich waren und auch im Alltag viele Freizeitangebote nicht oder nur kaum genutzt werden konnten, entstand bei vielen Eigentümern der Wunsch, es sich in den eigenen vier Wänden schön zu machen. Es wurde investiert und renoviert. Natürlich haben sich dadurch auch viele Aufträge für unsere Handwerksunternehmen ergeben.
DHB: Wie ist es denn im Saarland um die Fachkräfte bestellt, die nötig sind, um Aufträge überhaupt ausführen zu können? Es gibt Betriebe, die können Aufträge nicht annehmen, weil ihnen Fachkräfte fehlen.
Wegner: Ja, qualifizierte Handwerkerinnen und Handwerker fehlen überall. Aktuell könnten insbesondere die Bauhandwerke schneller Aufträge abarbeiten, wenn sie die Fachkräfte dazu hätten. Für die kommenden Jahre ist die Sicherung der Fachkräfteversorgung eine ganz zentrale Herausforderung. Die Konkurrenz um Auszubildende ist heute viel größer als noch vor 20 Jahren. Hier muss es das Handwerk nicht nur mit vielen anderen Wirtschaftsbereichen wie etwa der Industrie aufnehmen. Noch immer wird leider von vielen ein Studium als die Karrierechance schlechthin gesehen und einer Karriere im Handwerk bei der beruflichen Orientierung zu wenig Beachtung geschenkt. Aufgabe unserer Handwerkskammer ist es vor diesem Hintergrund, für eine handwerkliche Ausbildung zu werben und Schulabgänger dafür zu begeistern. Um dieses Ziel zu erreichen, informieren wir die Jugendlichen auf allen Kanälen über die vielen abwechslungsreichen Tätigkeitsfelder und Zukunftsperspektiven, die ihnen das Handwerk bietet, und informieren die jungen Menschen darüber hinaus in individuellen Beratungsgesprächen zu den Karrieremöglichkeiten, die das Handwerk für sie bereithält.
DHB: Welchen Beitrag kann der laufende Sommer der Berufsausbildung dabei leisten?
Wegner: Im Rahmen dieser bundesweiten Initiative bringen wir uns mit Aktionen wie "Walk and Talk" ein. Dabei beantworten unsere Ausbildungscoaches in saarländischen Innenstädten Fragen junger Menschen zur handwerklichen Ausbildung. Ergänzend stellt unsere HWK auf ihrem YouTube-Kanal "Mach Dein Ding!" ganz unterschiedliche Handwerksberufe vor. Und auch unsere Betriebe können selbst aktiv werden: Über die Online-Plattform "Praktikumswoche Saarland" haben sie die Möglichkeit, eintägige Schnupperpraktika anzubieten.
DHB: Wie sieht es bei Ihnen im Saarland mit den grenzüberschreitenden Tätigkeiten der Handwerker aus?
Wegner: Leider haben die Auslandsaktivitäten unserer Betriebe seit der Pandemie abgenommen. Insbesondere die Anzahl der Entsendungen nach Luxemburg ging zurück. Dasselbe galt auch für die Leistungserbringung in Frankreich. Da unsere Mitgliedsunternehmen in beiden Ländern stark gefragt sind und bei unseren Nachbarn einen hervorragenden Ruf genießen, bin ich zuversichtlich, dass die Anzahl der Auslandsaufträge wieder zunehmen wird. Insbesondere in Luxemburg zeichnet sich das zum Glück auch bereits ab. Die Aktivitäten in Frankreich laufen etwas schleppender an.
ZITAT "Es kann und darf nicht sein, dass die öffentliche Hand auf Märkten tätig ist, dort Erträge abschöpft und damit marktwirtschaftliches Unternehmertum abwürgt, das uns in unserer sozialen Marktwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten den Wohlstand verschafft hat, den wir heute genießen dürfen." Bernd Wegner, Präsident der Handwerkskammer des Saarlandes
DHB: Sind die Formalitäten immer noch so große Hürden im grenzüberschreitenden Verkehr?
Wegner: Ja, leider. Im Schulterschluss mit der Politik setzen wir uns dafür ein, den bürokratischen Aufwand zu reduzieren. Das würde natürlich auch deutliche Erleichterungen für französische Unternehmen bedeuten, die Aufträge bei uns ausführen möchten. Der nun zwei Jahre alte Aachener Vertrag, der den Elysee-Vertrag, also den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag von 1963 fortschreibt und die Grundlage für die Zusammenarbeit der beiden Länder bildet, ist ein guter Ausgangspunkt, um im Bereich der Entsendungen Erleichterungen für Betriebe auf den Weg zu bringen.
DHB: Ist die Sprache ein Hindernis?
Wegner: Grundsätzlich sind gute Fremdsprachenkenntnisse ein wichtiger Baustein für den wirtschaftlichen Erfolg auf ausländischen Märkten. 2014 hat das Saarland deshalb auf Initiative der damaligen Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer unter dem Namen "Frankreichstrategie" eine Sprachstrategie ins Leben gerufen. Das Projekt zielt darauf ab, die Saarländerinnen und Saarländer binnen einer Generation, also in den nächsten 25 Jahren, zweisprachig zu machen. Deswegen werden mittlerweile in zwei Drittel unserer Kindergärten auch französische Muttersprachlerinnen und Muttersprachler eingesetzt, um den Kindern so früh wie möglich auf spielerische Weise die Sprache beizubringen.
DHB: Wie ist denn der Stand der Dinge bei der wirtschaftlichen Betätigung von Kommunen? Da soll es eine Gesetzesänderung geben, die den Kommunen einen etwas größeren Spielraum gibt, dem Handwerk ins Handwerk zu pfuschen.
Wegner: Was Sie ansprechen, ist ein echtes Problem. Ich war sehr stolz darauf, dass ich in meiner Funktion als Landtagsabgeordneter am Kommunalselbstverwaltungsgesetz im Jahre 2004 mitarbeiten durfte. Damals wurde ein sehr restriktives Gesetz geschaffen, das klare Grenzen für die wirtschaftlichen Aktivitäten der Kommunen, wie beispielsweise kommunalen Versorgern (Stadtwerken), setzt. Jetzt deutet sich nach starker Lobbyarbeit durch den Verband der kommunalen Unternehmen an, dass der wirtschaftliche Freiraum für die öffentliche Hand deutlich und ganz erheblich zulasten des Handwerks ausgeweitet werden soll. Die Folgen dieser Gesetzesänderung für die private Wirtschaft sind nicht zu unterschätzen. Alle privaten Unternehmen, alle Start-ups und Gründer im Handwerk und darüber hinaus in der gesamten Wirtschaft müssten es dann hinnehmen, dass die öffentliche Hand in Konkurrenz zu ihnen träte und ihnen Aufträge und Umsätze streitig machte. Das gefährdet nicht nur Arbeits- und Ausbildungsplätze in privaten Unternehmen, sondern stellt auch eine Bedrohung für die Existenz kleiner und mittlerer Handwerksbetriebe dar.
DHB: Wie gehen Sie dagegen vor?
Wegner: Unsere HWK hat in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf die Position des Handwerks zu dieser Thematik deutlich gemacht. Wir meinen, dass dort, wo es private Angebote auf Märkten gibt oder künftig solche entstehen könnten, ein ordnungspolitischer Rahmen benötigt wird, der kreatives privates Unternehmertum unterstützt und private Unternehmen im nötigen Umfang vor der wirtschaftlichen Konkurrenz durch den Staat schützt. Es kann und darf nicht sein, dass die öffentliche Hand auf Märkten tätig ist, dort Erträge abschöpft und damit marktwirtschaftliches Unternehmertum abwürgt, das uns in unserer sozialen Marktwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten den Wohlstand verschafft hat, den wir heute genießen dürfen.
DHB: Zumal das Handwerk ja ein wichtiger Begleiter des Strukturwandels ist.
Wegner: Ganz genau. Das Handwerk leistet seit Jahrzehnten einen unverzichtbaren Beitrag zum Strukturwandel. Es schafft Arbeitsplätze, bildet qualifizierte Fachkräfte aus und treibt selbst Innovationen voran. Im Zuge des Strukturwandels wurde das Thema Nachhaltigkeit immer wichtiger. Heute stehen, auch vor dem Hintergrund des Klimawandels, Themen wie Umweltschutz, Ressourceneffizienz und Energiewende ganz oben auf der Agenda. Nachhaltigkeit ist aber schon seit vielen Jahren ein wichtiges Charakteristikum des Handwerks. Wir produzieren Qualität und damit echten Mehrwert. Mit unserem Wissen sind wir in der Lage, die Dinge zu reparieren und reparaturwürdige Produkte zu schaffen, also das Gegenteil von schnelllebiger Wegwerfware. Das Handwerk spielt auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit in Wirtschaft und Gesellschaft eine Schlüsselrolle. Das sollte die Politik noch stärker honorieren und auch fördern.
Das Interview führte Stefan Buhren.
DHB jetzt auch digital!Einfach hier klicken und für das digitale DHB registrieren!
Text:
Stefan Buhren /
handwerksblatt.de
Kommentar schreiben