Wallonie: Auf den Spuren der Vergangenheit
In Strépy-Thieu bei Mons ist Europas größtes Schiffshebewerk gelegen. Direkt daneben fließt der historische Canal du Centre. Bei einer Schiffsrundfahrt erlebt man hautnah das Nebeneinander von Alt und Neu.
Der Dieselmotor brummt, das flache Schiff mit den Sitzplätzen auf Deck legt langsam ab. Es sieht aus wie ein Spielzeugschiff, wie es sich langsam vom gigantischen Schiffshebewerk von Strépy-Thieu bei Mons wegbewegt.
Größtes Schiffshebewerk Europas
Die Anlage am Canal du Centre überwindet seit 2002 die eindrucksvolle Höhe von 73,15 Metern. Damit ist es das größte Werk seiner Art in Europa – weltweit nur noch übertroffen vom Schiffshebewerk am Drei-Schluchten-Damm am chinesischen Jangtse-Fluss, das 2016 in Betrieb genommen wurde. Die Bauzeit des imposanten Bauwerks betrug insgesamt rund 20 Jahre – wäre es nicht gebaut worden, hätten zur Überwindung dieses Höhenunterschiedes mehr als 30 einzelne Schleusen gebaut werden müssen.
Das größte Schiffshebewerk Europas in Strépy-Thieu bei Mons überwindet über 70 Meter. Eindrucksvoll erhebt es sich in die Höhe. Foto: © Wolfgang WeitzdörferDas ist die Situation auf jenem Teilstück des aktuellen Canal du Centre, der die Städte Charleroi und Mons verbindet. Daneben aber, nur wenige Kilometer entfernt, verläuft der Canal du Centre historique, der alte Kanal. Der wird allerdings nur noch zu touristischen Zwecken genutzt. Wie eben für die Kanalrundfahrt mit dem flachen Schiff. Einige hundert Meter flussabwärts wird es eng. Denn um auf den historischen Kanal zu kommen, muss das Schiff durch die Schleuse von Thieu fahren. Und das ist echte Maßarbeit, denn links und rechts sind nur etwa 30 Zentimeter Platz. Dann hebt sich die Schleuse langsam, der Wasserspiegel hebt sich um einige Meter, man gelangt in ein Becken, breiter diesmal, das in die zweite Schleuse führt.
Durchs "Guillotinen-Tor" auf den alten Kanal
Auf der zweistündigen Bootstour auf dem historischen Canal du Centre passiert man die historische Schleuse von Thieu, hier das Guillotinen-Tor an der Einfahrt. Foto: © Wolfgang WeitzdörferUnd dann geht es erst einmal nicht weiter. Das Schiff hat die knapp 20 Meter nach oben problemlos überwunden, als ein Alarm auslöst. Klemmt das so passend wie gruselig benannte "Guillotinen-Tor"? Sind die Ab- oder Zuläufe zur Schleuse verstopft? Fehlt etwa gar nur ein wenig Öl? Schleusenwärter Max lässt sich nicht aus der Ruhe bringen, auch nicht von den launigen Kommentaren der Menschen auf dem Schiff, die ihn immer wieder anfeuern. Letztlich fehlt Wasserdruck, das Problem ist schnell behoben – und unter dem Applaus der Schiffsbesatzung geht es auf den historischen Kanal, der sich malerisch vor dem Schiffsbug ausbreitet.
Links und rechts des Kanals erstrecken sich üppige Baumalleen, auf den Wegen, den ehemaligen Dreidelpfaden, auf denen noch bis ins 20. Jahrhundert hinein die Schiffe auf dem Kanal von Pferden oder Menschen gezogen wurden, sitzen entweder Gänsefamilien, die das langsam vorbeiziehende Schiff empört anquaken, oder Fußgänger, Radfahrer oder Jogger ziehen vorbei. Malerisch und gemütlich ist das, auch weil sich das Schiff nur im Schritttempo bewegt und man somit viel Zeit und Gelegenheit hat, alle Eindrücke in sich aufzunehmen. Und bedeutend sind die Wege am Kanal obendrein – denn sie sind Teil des UNESCO-Radwegenetzes, das in der Wallonie die Städte Tournai und Blegny-Mine bei Lüttich – und auf dem Weg zahlreiche Weltkulturerbe-Stätten – miteinander verbindet.
Historische Industriebauwerke
Die alte Zugbrücke von Bracquegnies auf dem Canal du Centre historique in Strépy-Thieu bei Mons. Foto: © Wolfgang WeitzdörferAuf dem nur etwa drei Kilometer langen Weg auf dem historischen Kanal begegnen einem trotz der kurzen Strecke zahlreiche historische Bauwerke, etwa die Drehbrücken und Zugbrücken von Bracquegnies und Thieu, die nicht nur industriehistorisch interessant sind, sondern schlicht auch sehr schön anzusehen sind. Betrieben werden diese während der Tour von Mitarbeitern der Gesellschaft Voies d´Eau du Hainaut (Wasserwege der Provinz Hennegau), die der Tourismusbehörde zugeordnet ist. Und man begegnet ihnen im Verlauf der Tour auf den verschiedenen historischen Bauwerken immer wieder. Sei es Schleusenwärter Max – oder seien es zwei andere Männer, die auf der Mitte der Drehbrücke von Bracquegnies stehen und das vorbeiziehende Schiff freundlich grüßen. Den mittleren Teil der Brücke haben sie zuvor mit Muskelkraft gedreht, so dass das Schiff problemlos passieren kann.
Eindrucksvoll ist übrigens auch der Abstecher in die Maschinenhalle am Schiffshebewerk von Bracquegnies. Hier endet die Schiffsfahrt. Und man bekommt einen Eindruck davon, welcher Aufwand nötig ist, um ein Schiffshebewerk zu betreiben. Mit Hilfe von hydraulischen Pumpen, die elektrisch betrieben werden, können die "Guillotinen-Tore" im Schiffshebewerk nebenan angehoben und gesenkt werden, der Druck, den das Wasser dabei aufbauen muss, liegt bei rund 50 Bar. Zurück zum Ausgangspunkt der rund zweieinhalbstündigen Tour wird man übrigens von einem "petit train", einer kleinen Bummelbahn, gebracht. Hier, auf den ehemaligen Dreidelpfaden, bekommt man im Vorbeifahren außerhalb des Kanals noch einmal einen schönen Eindruck dieser eindrucksvollen Weltkulturerbestätte.
Hintergrund und Infos Anreise Mit dem Schnellzug Thalys ist man in rund zwei Stunden in Brüssel, von dort fährt man mit dem Zug noch knapp eine Stunde nach Mons.
Übernachten Gemütliche Zimmer gibt es im stylisch designten Martin‘s Dream Hotel, 17, Rue de la Grande Triperie, 7000 Mons, das sich in einem historischen Gebäude nahe dem Stadtzentrum befindet.
Essen La Cantine des Italiens, 90, Rue Tout-Y-Faut, 7110 Houdeng-Goegnies, etwa zehn Minuten von Strépy-Thieu. Wegen der umfangreichen Gastarbeiter-Tradition italienischer Bergarbeiter in der Region Hennegau gibt es hier zahlreiche italienische Restaurants. Bistro Martin, im Dream Hotel, mit umfangreicher Abendkarte.
Tickets Erwachsene zahlen 15 Euro für die zweieinhalbstündige Kanal-Rundfahrt, Kinder bis 12 Jahre zahlen 10 Euro. Eine Reservierung ist wegen der begrenzten Sitzplätze nötig.
Hennegau Alles Wissenswerte rund um die Provinz Hennegau in Wallonien gibt es online hier.
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Text:
Wolfgang Weitzdörfer /
handwerksblatt.de
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