Prozessdigitalisierung: Herr der eigenen Daten werden
In den nächsten fünf Jahren müssen Betriebe ihre Prozesse digitalisieren und automatisieren – sonst wird es nichts mit KI oder dem Internet der Dinge. Hilfe bieten die Experten von Kammern und Verbänden.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Digitales Handwerk
Drei Tasten dürften am Computer vieler Betriebe schon ziemlich abgenutzt sein – Strg, C und V. Daten werden aus einem Programm kopiert und in ein anderes eingefügt. Potenzielle Ziele gibt es viele – eine Kundendatei, eine Tabellenkalkulation oder die Software für die Zeiterfassung der Mitarbeiter. "Dieses Hin und Her zwischen verschiedenen Programmen verbrennt Zeit, die nicht bezahlt wird", weiß Christoph Krause. Der Leiter des Koblenzer Kompetenzzentrums Digitales Handwerk und seine zwei Mitarbeiter sind Experten für Prozessdigitalisierung. Sie gehen in die Betriebe und schauen sich an, wo es hakt. "Vieles ist im Handwerk schon digitalisiert, aber nicht automatisiert. Wir stoßen oft auf zehn bis zwölf verschiedene Insellösungen, die wir möglichst gesamtheitlich in eine durchlaufende Kette bringen müssen."
Christoph Krause ist Experte für Prozessdigitalisierung. Er leitet das Koblenzer Kompetenzzentrum Digitales Handwerk. Foto: © Stefan VeresDie Beratung umfasst drei Schritte. Zunächst werden alle betrieblichen Prozesse mittels der internationalen Standardsprache Business Process Model and Notation erfasst. "BPMN ermöglicht es überhaupt erst, dass Unternehmer und IT-Experten auf einem Level miteinander kommunizieren können." Auf eines legt Krause als zweiten Schritt großen Wert: Seine Klienten aus den kleinen und mittleren Unternehmen zu sensibilisieren, prozessorientiert zu denken. Das spart nicht nur Geld ein, weil automatisierte Abläufe das Arbeiten effizienter machen. Es erschließen sich auch zusätzliche Einnahmequellen. "Wenn Handwerker ihr eigenes Prozessmodell vor sich sehen, entdecken die meisten plötzlich neue Geschäftsmodelle." Zuletzt geht es daran, mit finanzierbaren Lösungen die IT-Infrastruktur zu verbessern.
Digitalisierung ausprobieren und begreifen
Das Handwerk muss Herr der Daten werden. Das setzt jedoch eines voraus – wissen, wie die Digitalisierung funktioniert. Christoph Krause hat dafür ein einfaches Rezept: selber machen und begreifen. Im vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderten Kompetenzzentrum der Handwerkskammer Koblenz stehen modernste Maschinen. Doch nichts veraltet so schnell wie die Technik. Es gilt, eine eigene Geschäftsidee zu finden und daraus Kapital zu schlagen. Im Handwerk schlummert viel Potenzial. Doch es hapert an der Umsetzung.
Barcamp: Ideen vorstellen und ausarbeiten
Dieses Problem hat Christoph Krause erkannt. Er bringt eine ausgewogene Mischung digitaler Könner und Unternehmer an zweitägigen Barcamps und Hackathons zusammen.
Beim Barcamp treffen sich 200 bis 300 Leute zunächst in einem großen Raum. Jeder, der eine Idee hat, stellt sie vor. "Alle, die daran interessiert sind, bilden eine Gruppe, ziehen sich in einen anderen Raum zurück und arbeiten die Idee aus." Die Ergebnisse werden den restlichen Teilnehmern am Ende des zweiten Tages vorgestellt. Aus einigen Gruppen haben sich danach bereits Start-ups gegründet. Eine der ersten Erfolgsstorys ist der 3D-Konfigurator der Tischlerei Kasper.
Hackathon: Ideen vorstellen und umsetzen
Der Hackathon geht noch einen Schritt weiter. Zwar werden auch hier alle denkbaren Ideen für digitalen Mehrwert in den Raum geworfen. Im Vordergrund steht aber gleich noch deren technische Umsetzung. Christoph Krause macht es zu Beginn an einem Fallbeispiel fest. "Wir schließen einen Sensor an, der etwa Temperatur, Druck oder Feuchtigkeit misst und diese Daten an eine Plattform übermittelt." Relativ schnell entstehen Ideen, was sich daraus machen lässt. Gleichgesinnte finden sich an einem Tisch zusammen. Unterstützung bekommen sie von der "Hilfsmatrix". Sie besteht aus Experten der Universität Koblenz und der RWTH Aachen. Deren "Coder-Boys" springen von Tisch zu Tisch. Gemeinsam mit den Handwerkern erschaffen sie ein innovatives Produkt oder eine neue Dienstleistung. "Es herrscht eine unfassbar kreative Atmosphäre. Manche arbeiten sogar die Nacht durch." Am Ende des zweiten Tages präsentieren die Gruppen allen anderen ihre Geschäftsvision.
Best-Practice-Beispiele in den Sozialen Medien
Erfahrungsaustausch: Digitale Vordenker berichten über ihre Erfahrungen auf Facebook und Instagram. Dort wird auch auf die Termine der kommenden Barcamps und Hackathons hingewiesen.Offenheit ist bei allem Trumpf. "Wir geben das Wissen raus, damit alle anderen davon lernen können." Die Barcamps und Hackathons etwa werden per Live-Stream auf der Facebook-Seite Digitale Macher übertragen. Auch vom Kompetenzzentrum beratene Unternehmen sollen in den sozialen Netzwerken darüber berichten, was sie erlebt haben. "Echte Handwerker erzählen ihre und unsere Geschichte. Damit pushen wir die Digitalisierung im Handwerk."
Nicht der Kunde, sondern eine digitale Plattform entscheidet
Eines steht für Christoph Krause fest: "Wer die Prozessdigitalisierung in den nächsten fünf Jahren nicht angeht, wird die nachfolgenden Schritte wie das Internet der Dinge, Building Information Modeling oder Künstliche Intelligenz gar nicht mitmachen können." Die Industrie steht schon in den Startlöchern. Christoph Krause macht eine regelrechte Goldgräberstimmung aus. Lukratives Ziel ist ausgerechnet das Handwerk. "Wer reich werden will, schaut sich dort die Prozessketten an, pickt sich ein skalierbares Element raus, digitalisiert es und bietet eine entsprechende Dienstleistung an." Wenn das Handwerk nicht aufpasse und sich aus der eigenen Wertschöpfungskette drängen lasse, drohe vielen Betrieben das Aus. "Bald entscheidet nicht mehr der Kunde, wer sein Auto, seine Dachrinne oder seinen Heizkessel repariert, sondern eine digitale Plattform."
Ansprechpartner für Betriebe
Das Kompetenzzentrum Digitales Handwerk besteht aus fünf sogenannten Schaufenstern. Sie haben jeweils einen eigenen Schwerpunkt.
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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