Interview: "Ausbildung ist Herzenssache"
Joachim Noll, Vizepräsident des DHKT für die Arbeitnehmerseite und Arbeitnehmer-Vizepräsident der Handwerkskammer Koblenz, äußert sich über Nachwuchsgewinnung, Ausbildungsqualität und Tarifbindung.
Kfz-Meister Joachim Noll ist seit 20 Jahren im Ehrenamt. Als Vizepräsident der Handwerkskammer Koblenz vertritt der 52-Jährige die Arbeitnehmerseite und ist seit Jahresanfang auch Vizepräsident des Deutschen Handwerkskammertages (DHKT): Als Ausbilder im Kfz-Handwerk sorgt er sich nicht nur um die Nachwuchsgewinnung und Qualifizierung in der Berufsbildung, sondern auch um die Transformation und Tarifbindung im Handwerk.
DHB: Herr Noll, früher hatten Sie über 70 Auszubildende in Ihrem Betrieb, heute nur noch 24. Fehlt der Nachwuchs?
Joachim Noll: Dieser Rückgang ist deshalb so extrem, weil sich der Betrieb verkleinert hat und viele Sparten wie etwa die Lackiererei oder der Karosseriebau und der Gebraucht-Lkw-Handel weggefallen sind. Außerdem handeln und reparieren wir Nutzfahrzeuge, nicht Pkw – und das muss man als junger Mensch schon wollen. Aber die Nachfrage ist schon geringer geworden, wir erhalten weniger Bewerbungen. Daher gehen wir aktiv in Schulen, um junge Menschen für unseren Beruf zu gewinnen.
DHB: Sind denn die heutigen Jugendlichen noch ausbildungsfähig?
Joachim Noll: Sie haben natürlich ein großes Spektrum. Fakt ist: Die Kompetenzen haben sich stark verschoben. Haben Jugendliche vor 20 Jahren noch Fußball gespielt, sitzen die heute 15- und 16-Jährigen zu Hause und arbeiten mit modernster IT. Aber ich muss auch bedauerlicherweise feststellen, dass die Qualität der Schulabgänger schlechter geworden ist.
DHB: Klingt ein wenig hoffnungslos …
Joachim Noll: … ist es aber nicht. Über die Ursachen können wir spekulieren und sicherlich spielt es heute eine Rolle, dass sich die Lehrer in der Schule heute nicht mehr auf den Einzelnen konzentrieren können. Aber mit einer guten Betreuung, mit fordern und fördern, erzielen Betriebsinhaber immer noch exzellente Ausbildungsergebnisse.
DHB: Das erfordert aber eine zeitintensive Betreuung.
Joachim Noll: Natürlich, aber es ist grundsätzlich gut investierte Zeit und eine Frage der Prioritäten. Erfolgreiche Betriebe sehen den Fachkräftemangel und brauchen einen qualifizierten Nachwuchs. Daher investieren sie bewusst Zeit in die Betreuung der Auszubildenden. Der Meister muss neben seiner ganzen Arbeit von der Bürokratie über die Planung und eigenen Ausführung zusätzlich Zeit in die qualifizierte Betreuung investieren.
DHB: Trotzdem müssen Betriebsinhaber mit dem Risiko leben, dass Nachwuchskräfte mit dem Gesellenbrief abwandern.
Joachim Noll: In der Tat sind schon immer gut ausgebildete Fachkräfte in die Industrie und andere Wirtschaftszweige gegangen, weil sich dort besser verdienen ließ. Gerade deshalb steht das Thema Tarifbindung ganz oben in meiner Agenda: Sie müssen gute Rahmenbedingungen anbieten, damit der Nachwuchs ins Handwerk findet und die gut ausgebildeten Fachkräfte auch bleiben. Und die Tarifbindung ist ein ganz entscheidender Faktor
DHB: Sie spielen damit auf die Tarifflucht vieler Gewerke an
Joachim Noll: Richtig. Denn die Tarifflucht sehe ich als große Gefahr. Schauen wir doch mal aufs Kfz-Handwerk Rheinland-Rheinhessen. Hier haben wir noch im Dezember 2019 einen langfristigen Tarifvertrag abgeschlossen, mit einer überproportionalen Ausbildungsvergütungserhöhung. Dann werden am 27. Januar alle anderen Tarifverträge gekündigt – das versteht kein Arbeitnehmervertreter und ist auch ein schlechtes Signal nach außen. Das nehmen Eltern von Jugendlichen wahr und es ist dann auch kein Wunder, wenn die Eltern sagen: "Kind, studier doch!" So helfen wir beim Akademisierungswahn aktiv mit.
DHB: Das gilt nicht nur für das Kfz-Handwerk.
Joachim Noll: Nein, die Tarifflucht sehe ich nicht nur im Kfz-Handwerk, sondern in allen Gewerken. Das Ergebnis ist, dass Betriebe, die ordentlich nach Tarif zahlen, ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren, weil nebenan ein Unternehmen die gleiche Leistung zu Dumpingpreisen anbieten kann, weil es eben nur Mindestlohn zahlt. In den Regionen, wo dieses passiert, haben Sie immerhin den positiven Effekt, dass jetzt die Gewerke wieder auf die Sozialpartner zukommen.
DHB: Dafür brauchen Sie aber auch starke Tarifpartnerschaften. Der Mitgliederschwund in den Innungen ist da wenig hilfreich.
Joachim Noll: Das stimmt, vor allem im Osten ist der Mitgliederschwund in Innungen dramatisch. Aber die Tarifbindung hat das Handwerk auch stark gemacht, weil sie auch hilft, Nachwuchs zu gewinnen und die Ausbildungsqualität hochzuhalten.
DHB: Gilt das auch für das digitale Zeitalter, wenn die IT einen Bereich nach dem anderen umwälzt – sind die Ausbildungsverordnungen noch zeitgemäß?
Joachim Noll: Die Transformation ist natürlich ein ganz großes Kapitel. Nehmen Sie mein Kfz-Handwerk: Da gab es den Mechaniker und den Elektroniker, aus dem dann der Mechatroniker wurde. Wer mit viel Technik und wenig Elektronik angefangen hat, soll statt Verbrenner- heute Elektromotoren reparieren können.
DHB: Den Anpassungsdruck haben aber alle Gewerke.
Joachim Noll: Richtig – und daher plädiere ich dafür, dass wir die Verordnungen mindestens alle fünf Jahre prüfen. Derzeit liegen die sieben bis neun Jahre in der Schublade, ehe eine Validierung stattfindet. Die Transformation ist ein Riesenthema – auch für uns als Arbeitnehmervertreter. Wir müssen die Betriebsinhaber, aber auch deren Mitarbeiter dafür sensibilisieren, was auf sie zukommt. Wir müssen diesen Modernisierungs-, diesen Digitalisierungsprozess in den Betrieben als Arbeitnehmervertreter begleiten und die Menschen in den Betrieben abholen.
DHB: Sehen Sie in der Migration einen Ausweg, mehr Fachkräfte zu bekommen?
Joachim Noll: Durchaus, wobei ich da drei Handlungsfelder sehe. Wir müssen noch mehr die Sprachkompetenz in den Fokus nehmen. Schließlich geht es nicht nur darum, Deutsch zu verstehen, sondern auch um das Fachdeutsch. Gerade Menschen mit Migrationshintergrund brauchen oft einen Coach, der sie im Betrieb, in der Schule und in der Gesellschaft begleitet. Und vor allem brauchen sie eine Bleibeperspektive. Es kann nicht sein, dass junge Menschen nach drei Jahren und einer erfolgreich abgeschlossenen Berufsausbildung gehen müssen.
DHB: Ein Coach setzt aber auch wieder zeitliches Engagement voraus.
Joachim Noll: Wir landen wieder bei den Prioritäten, die ein Betrieb, der ausbildet, setzen muss. Und es setzt auch Menschen voraus, die sich wie ich ehrenamtlich in den Gremien des Handwerks, insbesondere in den Prüfungsausschüssen, engagieren. Aber da fehlt es auch leider an Nachwuchs.
DHB: Sie plädieren für eine Stärkung des Ehrenamts …
Joachim Noll: … die bei den Rahmenbedingungen ansetzen muss. Im öffentlichen Dienst etwa werden ehrenamtliche Helfer freigestellt und die Bezahlung läuft weiter. Im Handwerk ist das nicht geregelt, dafür braucht es klare Regeln. So wird das zeitliche Engagement überschätzt – es ist weit weniger als gedacht. In einer modernen Welt können wir dank der Technik überall arbeiten, Internet und ein mobiles Endgerät vorausgesetzt. Das lässt sich organisieren, gerade in Absprache mit dem eigenen Betrieb. Aber Ausbildung ist auch Herzenssache – und für die Unentschlossenen, die sich darin engagieren wollen, müssen wir die Rahmenbedingungen verbessern.
Text:
Stefan Buhren /
handwerksblatt.de
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