Sind Reisezeiten zum Kunden Arbeitszeit?
Fährt ein Monteur zum Kunden, gilt die Reisezeit als Arbeitszeit, weil sie im Interesse des Arbeitgebers erfolgt. Sie muss auch bezahlt werden, wenn im Arbeits- oder Tarifvertrag nichts anderes steht.
Die Wege zur Arbeit sind für den Arbeitnehmer eigennützig, sagt die Rechtsprechung. Sie sind damit regelmäßig keine Arbeit und gelten auch nicht als Arbeitszeit. Dies trifft aber nur zu, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit im Betrieb zu erbringen hat. Welche Regeln gelten, wenn der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebes verrichtet, etwa bei Fahrten zu Kunden, hat das Bundesarbeitsgericht in einem aktuellen Urteil entschieden.
Der Fall
Der Aufzugs- und Inspektionsmonteur montiert, wartet und repariert Aufzugsanlagen. Seine tarifliche Wochenarbeitszeit beträgt 35 Stunden und er erhält ein Bruttomonatsgehalt von 4.376 Euro. Der Arbeitgeber stellt Werkzeug, Ersatzteile und ein Fahrzeug zur Verfügung, das der Monteur auch privat nutzen darf.
Die zu wartenden Aufzugsanlagen stellt der Chef den Monteuren in Sammelaufträgen zu. Seine Tätigkeit kann sich der Kläger im Wesentlichen frei einteilen. Er fährt morgens von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstages und vom letzten Kunden dorthin zurück. Den Betrieb des Arbeitgebers sucht er nur für organisatorische Arbeiten wie die Abgabe der Wochenmeldungen oder die Besorgung von Ersatzteilen auf.
Für das Arbeitsverhältnis gilt der "Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie (BMTV)" . Dort ist u.a. für Montagemitarbeiter wie den Kläger Folgendes geregelt:
§ 5 Nahmontage für Montagestammarbeiter
5.1 Nahauslösung: Die Nahauslösung ist eine Pauschalerstattung, die den arbeitstäglichen Mehraufwand bei auswärtigen Montagearbeiten im Nahbereich abdecken soll. Eine Vergütung für den Zeitaufwand der Hin- und Rückreise erfolgt nicht. Montagestelle ist die Stelle, von der aus der Beginn der Arbeitszeit berechnet wird und die Bezahlung der Arbeitszeit beginnt.
Für die Fahrten des Monteurs von seiner Wohnung zum ersten Kunden des Arbeitstages und vom letzten Kunden zurück zahlt der Arbeitgeber keine gesonderte Vergütung, sondern lediglich eine Nahauslösung nach Maßgabe des BMTV.
Der Monteur verlangt Vergütung für seine Fahrten zum Kunden und wieder zurück. Er ist der Auffassung, diese zähle zur Arbeitszeit. Er fordert daher für insgesamt 278 Überstunden je einen Satz von 35,20 Euro brutto.
Vor dem Arbeitsgericht und dem Landesarbeitsgericht hatte der Mann mit seiner Klage keinen Erfolg.
Das Urteil
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) stellte sich wie die Vorinstanzen auf die Seite des Arbeitgebers. Weitergehende Vergütungsansprüche habe der Monteur nicht, erklärten die Erfurter Richter.
Reisezeit als Arbeitszeit?
Hat der Arbeitnehmer seine Tätigkeit außerhalb des Betriebs zu erbringen, gehören auch Fahrten zur auswärtigen Arbeitsstelle zu den vertraglichen Hauptleistungspflichten. Das wirtschaftliche Ziel der Gesamttätigkeit ist dann darauf gerichtet, verschiedene Kunden aufzusuchen, sei es um dort Dienstleistungen zu erbringen, sei es, um Geschäfte für den Arbeitgeber zu vermitteln oder abzuschließen.
Dazu gehört zwingend die An- und Abreise. Dies erfüllt den Arbeitszeitbegriff, denn "Arbeit" ist jede Tätigkeit, die als solche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gilt dies erst recht, wenn der Arbeitnehmer bei An- und Abreise ein Fahrzeug mit den für die auswärtige Tätigkeit erforderlichen Werkzeugen, Ersatzteilen u.ä. führen muss.
Vergütungspflicht?
Die Einordnung der hier streitigen Fahrten als Arbeit und der dafür aufgewendeten Zeit als Arbeitszeit klärt hingegen noch nicht die Frage der Vergütungspflicht. Dabei kann durch Arbeits- oder Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigenständige Tätigkeit und damit auch für Fahrten der vorliegenden Art getroffen werden. Diese Regelungsbefugnis wird auch nicht durch Europarecht beschränkt. Die Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG regelt nicht Fragen des Arbeitsentgelts, sondern nur der Arbeitszeit.
Hier haben die Tarifvertragsparteien in § 5 BMTV eine solche abweichende Vergütungsregelung getroffen. Weitergehende Vergütungsansprüche stehen dem Arbeitnehmer damit wegen dieser vorrangigen Regelung nicht zu.
Mindestlohn einhalten
Praxistipp von Dr. Nicolai Besgen, Fachanwalt für Arbeitsrecht: "Die Entscheidung macht deutlich, dass nicht alle An- und Abreisezeiten zur Arbeit eigennützig sind. Erfolgen diese im Interesse des Arbeitgebers, insbesondere, wenn Kunden unmittelbar aufgesucht werden, gelten auch diese Zeiten als Arbeitszeit. Die Frage der Vergütungspflicht muss davon aber unterschieden werden. Eine Vergütungspflicht besteht immer dann, wenn im Arbeits- oder Tarifvertrag keine abweichende Regelung getroffen wurde. Es muss also nicht jede Arbeitszeit automatisch auch bezahlt werden. Arbeitgeber sollten hierauf bei der Vertragsgestaltung achten.
Hinzuweisen ist noch darauf, dass sowohl die Arbeitsvertrags- als auch die Tarifvertragsparteien keine Vergütungsregelungen treffen dürfen, durch die der zwingende gesetzliche Mindestlohnanspruch unterschritten würde. Dies war hier aber wegen des hohen Gehalts des Arbeitnehmers nicht relevant."
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. April 2018, Az. 5 AZR 424/17
Die Hin- und Rückreise zur Arbeitsstelle sind zu vergüten, wenn der Arbeitgeber einen Mitarbeiter vorübergehend ins Ausland entsendet. Lesen Sie → hier mehr: Berufliche Auslandsreise ist Arbeitszeit
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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