Es begann 2020, bei einem gemeinsamen Mittagessen am Rande von Garching bei München. Als Olaf Übelacker sich unweit seines Malerbetriebs mit Wolfram Beck in einem Restaurant traf, kamen die langjährigen Kollegen auf die Zukunft zu sprechen. Beide hatten sich fest vorgenommen, frühzeitig zu überlegen, wie und an wen sie ihre Betriebe eines Tages übergeben wollten. Auf eines konnte sie sich schnell einigen: "Wir sind viel zu individuell und eigenständig, um uns in eine Unternehmensgruppe zwängen zu lassen", bringt es Olaf Übelacker auf den Punkt. Der 59-Jährige führt den Familienbetrieb Hans Übelacker GmbH + Co KG in dritter Generation und hat ihn in den vergangenen vier Jahrzehnten zu einem breit aufgestellten Spezialisten im High-End-Interieur-Bereich aufgebaut. Dem steht Wolfram Beck in nichts nach. Der 57-Jährige bietet mit der Beck GmbH ein ähnliches Edel-Portfolio für Kunden im Großraum Stuttgart an.
Erste Kontaktaufnahme
Elisabeth Rustad-Nilssen und Øyvind Emblem Foto: © HåndverksgruppenWolfram Beck vertraut Olaf Übelacker. Die Malermeister kennen sich seit langem aus dem "farbrat", den Beck vor 25 Jahren mitgegründet hat. Als die Håndverksgruppen (HG) im Herbst 2022 Olaf Übelacker zum ersten Mal kontaktierte, lehnt er ein Gespräch ab. Doch Øyvind Emblem lässt nicht locker. Zusammen mit seiner Kollegin Elisabeth Rustad-Nilssen macht er sich auf den Weg von Norwegen nach Deutschland. Sie treffen sich mit dem Malermeister. Zeit verstreicht. Sie verabreden sich erneut. "Ich werde an dich denken, wenn ich zu einem zufriedenstellenden Ergebnis gekommen bin", ruft Übelacker seinem Freund in Baden-Württemberg während des Verhandlungsprozesses zu.
Inzwischen gehören sie beide zur Håndverksgruppen. Wie konnte das passieren? "Øyvind und Elisabeth sind äußerst sympathisch. Sie haben uns das Gefühl gegeben, dass sie es ehrlich mit uns meinen und dass wir auch nach der Aufnahme in die Gruppe weiterhin frei über unsere Betriebe entscheiden können", begründen Olaf Übelacker und Wolfram Beck ihre Entscheidung, Teil der HG zu werden.
HåndverksgruppenDie Håndverksgruppen (HG) setzen sich zum Ziel, die besten lokalen Handwerksbetriebe in Nordeuropa zu vereinen und sich als führender Oberflächendienstleister in den Bereichen Boden, Wand und Decke zu etablieren. Die Gruppe erwirtschaftete nach eigenen Angaben zuletzt einen Gesamtumsatz von über 650 Millionen Euro. Zu ihr zählen mehr als 140 Unternehmen, die über 4.200 Handwerker in Norwegen, Schweden, Dänemark und Deutschland beschäftigen. CEO der Håndverksgruppen ist Øyvind Emblem. Vorsitzender des Aufsichtsrates ist Per Wiking Sjøstrand. Für den deutschen Markt ist Michael Mathias verantwortlich.
Skandinavisches Modell
Das Geschäft der Håndverksgruppen fußt auf "ihrem einzigartigen skandinavischen Modell". Was verbirgt sich dahinter? Für Øyvind Emblem basiert die Zusammenarbeit in erster Linie auf Vertrauen. Die Chemie zwischen der Konzernspitze und den Partnerunternehmen, aber auch zwischen Chef, Beschäftigten und Kunden in den einzelnen Handwerksbetrieben sowie im Kreis aller Mitglieder der Håndverksgruppen muss stimmen. "Jemand hat uns mal als einen Club oder als eine große Familie bezeichnet."
Bei allem Streben nach Harmonie kommt es aber auch auf die harten Fakten an. Jedes Unternehmen wird vor der Aufnahme kritisch durchleuchtet. Olaf Übelacker fand es "äußerst anstrengend", den äußerst umfangreichen Fragenkatalog durchzugehen – und er könnte sich auch Schöneres vorstellen, als jeden Monat einen Finanz-Report zu erstellen. Doch als Unternehmer sieht er die Notwendigkeit für diese betriebswirtschaftliche Gründlichkeit. "Wenn alle Unternehmen in der Gruppe gleichermaßen finanzstark sind und daran arbeiten, eine hohe Rendite zu erzielen, können Øyvind und sein Team uns allen vertrauen und uns alle Freiheiten lassen, die wir in der Vergangenheit hatten."
Gegenseitige Beteiligung
HG übernimmt die Handwerksbetriebe zu 100 Prozent. Im Gegenzug beteiligen sich die Eigentümer mit einem "bedeutenden Betrag" an der Handwerksgruppe. Damit werden sie zu Miteigentümern. "Alle sitzen in demselben Boot, das ihnen allen gehört. Wir arbeiten zusammen und bringen HG gemeinsam voran", sagt Øyvind Emblem. Über die genaue Höhe des finanziellen Engagements gibt der CEO der Unternehmensgruppe keine Auskunft. Ihm zufolge machen die Anteile der Eigentümer an der HG in Summe mehr als 50 Prozent aus.
Wenn Olaf Übelacker auf das finanzielle Engagement der Håndverksgruppen angesprochen wird, meidet er zwei Worte: "Verkauf" und "Übernahme". Beide würden fälschlicherweise suggerieren, dass er sich aus dem eigenen Unternehmen verabschiedet hat. "Das wäre für uns tödlich, denn die jahrelange Zusammenarbeit mit unseren Kunden basiert auf einer vertrauensvollen, persönlichen Beziehung." Im Dialog mit Geschäftspartnern verweist der 59-jährige Malermeister auf den nach seiner Einschätzung großen Unterschied. "Es handelt sich nicht um einen Verkauf , sondern um eine gegenseitige Beteiligung", unterstreicht er. Dass er eigenes Kapital in die Håndverksgruppen steckt und dass er sich – wie alle anderen Betriebsinhaber – vertraglich verpflichtet, den Betrieb auf unbestimmte Zeit weiterzuführen, sei ein wichtiges Signal. "Es zeigt, dass ich an den Erfolg dieses Modells glaube."
Die personelle Kontinuität verschafft den Unternehmern auch Zeit, einen geeigneten Nachfolger zu finden – sei es innerhalb der eigenen Firma, ein externer Bewerber oder ein Kandidat aus den Reihen der Håndverksgruppen. Auf wen die Wahl fällt, liegt letztlich in den Händen von Olaf Übelacker und Wolfram Beck. "Sie wissen am besten, wem sie ihr Lebenswerk übergeben möchten. Unser Netzwerk kann ihnen aber bei der Suche helfen", sagt Øyvind Emblem.
Handwerksgruppen in Deutschland
Bis Oktober 2024 haben sich fünf deutsche Handwerksbetriebe der Håndverksgruppen angeschlossen. Dazu gehören neben der Hans Übelacker GmbH & Co. KG und der Beck GmbH der Malerfachbetrieb Baur GmbH aus Donaueschingen, der Malerbetrieb Ritter & Frank Oberflächen GmbH & Co. KG aus Bietigheim-Bissingen und die Malerwerkstatt Hinze aus Wunstorf. Zusammen beschäftigen sie rund 200 Mitarbeiter. Øyvind Emblem und Michael Mathias, Chef der deutschen HG-Niederlassung, führen mit mehr als 25 weiteren Unternehmen konkrete Gespräche. "Das Rad beginnt sich langsam zu drehen, aber es wird eine Fahrt aufnehmen", meint Øyvind Emblem.
Die Håndverksgruppen will ein Netz aus Wand- und Bodenspezialisten weben, das sich über ganz Deutschland spannt. Der Anfang wurde in Bayern gemacht. Nun arbeitet sich das vierköpfige Team von Michael Mathias entlang von Neckar, Rhein und Weser in Richtung Norden hoch. Im Osten der Republik hat sich HG noch nicht nach passenden Kandidaten umgeschaut. Wie viele deutsche Handwerksbetriebe am Ende zur norwegischen Gruppe gehören werden, ist für Øyvind Emblem zweitrangig. "Entscheidender als die Quantität ist die Qualität. Unsere Partner müssen zu uns und wir zu unseren Partnern passen."
Wichtige Faktoren für die Beteiligung
Die Menschen und Unternehmenskultur sind für Øyvind Emblem entscheidende Faktoren, denn sie haben einen starken Einfluss auf die finanzielle Leistung. Die Handwerksbetriebe müssten in den vergangenen drei bis fünf Jahren konstant gewachsen sein und Gewinne im zweistelligen Prozentbereich erwirtschaftet haben. In der Regel beschäftigen die von ihm favorisierten Unternehmen mehr als 20 Mitarbeiter und verfügen über eine mittlere Managementebene. Bei der Höhe des Umsatzes legt er sich nicht fest. "Wir suchen nach Local Heroes, die eine einzigartige Palette hochwertiger Dienstleistungen anbieten."
Entwicklung der Handwerksgruppen
Seit 2012 arbeiten norwegische Handwerksbetriebe unter der Marke "Håndverksgruppen" nach genossenschaftlichem Vorbild zusammen. Acht Jahre später ist die Zahl der Kooperationspartner von 14 auf 44 gestiegen. 2020 folgt ein weiterer Meilenstein. 30 der 44 Betriebe gründen eine Gruppe, an der sich der norwegische Investor FSN Capital mehrheitlich beteiligt. Die Private-Equity-Gesellschaft kauft die Handwerksunternehmen, die ihrerseits 20 Prozent des erhaltenen Geldes als Kapitalstock für das weitere Wachstum der Handwerksgruppen zurück an die Muttergesellschaft geben. "Damit hat sich HG von einer Genossenschaft zu einer GmbH gewandelt", sagt Øyvind Emblem.
Tochtergesellschaften bleiben eigenständig
Nach dem Anschluss an die HG agieren die Tochtergesellschaften – also die einzelnen Handwerksbetriebe – weiterhin eigenständig. Laut Øyvind Emblem bleibt der Name der Firma langfristig erhalten. Der bisherige Chef führe das Geschäft. Jeder behalte seine Bankverbindung und arbeite mit der gewohnten Branchensoftware.
"Für uns hat sich nicht viel geändert", bestätigte Wolfram Beck. Lediglich das monatliche Finanz-Reporting und regelmäßige Online-Meetings mit den HG-Vertretern und anderen Mitgliedern der Gruppe in Deutschland seien dazugekommen. Vom Miteinander der Kollegen erhofft sich der 57-jährige Malermeister und Technische Fachwirt zusätzliche fachliche Expertise und wirtschaftliche Synergien. Dieser Wunsch könnte sich erfüllen. "Wenn das Netzwerk groß genug ist, tauschen die Firmen auch Geschäftskontakte und Mitarbeiter untereinander aus", weiß Øyvind Emblem aus der Erfahrung in Skandinavien. Diese vertrauensvolle Zusammenarbeit helfe allen dabei, gemeinsam zu wachsen.
HG in vier Ländern vertreten
Die Zentrale der HG sitzt in Oslo. Von dort aus geben Øyvind Emblem und sein rund 20-köpfiges Team den wirtschaftlichen Kurs der Gruppe vor und organisieren die administrativen Prozesse. Ihre Arbeit wird von einem Aufsichtsrat kontrolliert. Inzwischen ist die Handwerksgruppe neben Norwegen noch in Schweden (seit 2021), Dänemark (seit 2022) und Deutschland (seit 2023) vertreten.
In allen vier Ländern gibt es eine Tochtergesellschaft, die sich um die Handwerksbetriebe kümmert. "Sie organisieren Treffen, auf denen sich die Unternehmen vor Ort oder virtuell miteinander vernetzen sollen, sie beraten sie in punkto Mitarbeiterakquise oder Personalfragen und gehen mit ihnen das monatliche Finanz-Reporting durch", umreißt Øyvind Emblem das Aufgabenspektrum der Country-Manager, die in ihrem Gebiet als Dienstleister und Sparringspartner fungieren sollen.
Nächste Schritte
Das Engagement von FSN Capital ist zeitlich begrenzt . "In der Regel steigt ein Investor wie dieser nach vier bis sieben Jahren aus seiner Beteiligung aus", erklärt Øyvind Emblem. Danach gibt es nach seiner Einschätzung zwei Option: FSN Capital könnte seine Anteile an der Håndverksgruppen an eine andere Private-Equity-Gesellschaft veräußern. Das wahrscheinlichere Szenario sei jedoch, dass HG an die Börse geht. Konkrete Pläne, in welchem Jahr und an welchem Handelsplatz die Aktien platziert werden, gebe es aber noch nicht.
Ein Börsengang würde den Handwerkerverbund unterstützen, um die Präsenz der Gruppe in den vier Ländern zu stärken und um weiter in Europa zu expandieren. Aus den Anteilseignern, die ihr Kapital in die Håndverksgruppen reinvestiert haben, werden dann Aktionäre, die vom steigenden Kurs ihrer Wertpapiere oder von einer Dividende profitieren könnten. Øyvind Emblem malt die Zukunft der Handwerksgruppen bereits in den schönsten Farben. "Es wird eine Erfolgsgeschichte."
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Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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