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HWK des Saarlandes | November 2024
Wirtschaftspolitik neu ausrichten
Die Handwerkskammer des Saarlandes wünscht sich von der Landespolitik konkrete Maßnahmen, die den Mittelstand und das Handwerk entlasten.
"In einzelnen Berufen wie etwa bei den Gas- und Wasserinstallateuren oder im Tiefbau bleiben offene Stellen lange Zeit unbesetzt", sagt Torsten Withake. (Foto: © Ingo Lammert)
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Einige Gewerke des Handwerks tun sich schwer bei der Suche nach Fachkräften, sagt Torsten Withake von der Arbeitsagentur NRW. Er rät ihnen, Förderinstrumente konsequent zu nutzen.
Torsten Withake ist Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesagentur für Arbeit. Im Gespräch mit dem Handwerksblatt skizziert der 53-Jährige die Situation des Arbeitsmarkts im Land. Für Unternehmer im nordrhein-westfälischen Handwerk ist auch die Arbeitsagentur ein Ansprechpartner, um geeignete Fachkräfte für den eigenen Betrieb zu finden.
DHB: Wie unterscheidet sich der Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen vom Rest der Republik?
Withake: NRW ist Deutschland im Kleinen. Ich mache mal drei Beispiele. Südwestfalen kann man mit Baden-Württemberg vergleichen. Beide Länder sind stark durch das produzierende Gewerbe geprägt, damit aber auch sehr anfällig für konjunkturelle Schwankungen. Das schlägt sich dann in Kurzarbeit nieder. Das Münsterland und Bayern haben gemeinsam, dass dort nahezu Vollbeschäftigung herrscht. Hauptproblem ist dort, dass die Unternehmen keine Mitarbeiter mehr finden – aich das trifft auf Baden-Württemberg zu. Das Ruhrgebiet ist genauso wie Brandenburg von einer hohen Langzeitarbeitslosigkeit geprägt. Diese Menschen könnten in Beschäftigung gebracht werden, müssten aber noch qualifiziert werden.
DHB: Wie stellt sich die Situation im Handwerk dar?
Withake: In einzelnen Berufen wie etwa bei den Gas- und Wasserinstallateuren oder im Tiefbau bleiben offene Stellen lange Zeit unbesetzt. Das hängt auch damit zusammen, dass es in einigen Bereichen immer weniger Auszubildende und damit langfristig immer weniger Fachkräfte gibt. Die jungen Leute nehmen die Berufe des Handwerks unterschiedlich wahr. Ein Tischler, der tolle Designermöbel baut, hat ausreichend Bewerber. Dagegen tun sich die Betriebe aus dem Nahrungsmittel-, SHK-, Elektro- oder Bodenlegerhandwerk eher schwer, Jugendliche für eine Ausbildung zu gewinnen.
DHB: Haben die Arbeitgeber im Handwerk schon wahrgenommen, dass sich der Arbeitsmarkt zugunsten der Arbeitnehmer entwickelt?
Withake: Die Erkenntnis ist vorhanden, aber es wird noch nicht immer konsequent gehandelt. Ich kenne ein Unternehmen, das Schwierigkeiten hatte, Nachwuchs zu finden. Da wurden die Mitarbeiter befragt, welche Unterstützung sie sich für ihre Kinder wünschen würden. Nachhilfe für die Schule wäre super, lautete die Antwort. Die hat der Arbeitgeber dann organisiert. Auf diese Weise kann man langjährige Beschäftigte binden und gleichzeitig deren Kinder für das eigene Unternehmen gewinnen.
DHB: Die Akquise müsste doch aber schon viel früher beginnen, oder?
Withake: Richtig. Sie fängt schon beim Praktikanten an. Das Handwerk muss die Jugendlichen weiter mit offenen Armen empfangen. Man könnte den Schülerinnen und Schülern doch einen Auszubildenden zur Seite stellen, der ihnen zeigt, wie toll der Ausbildungsberuf sein kann. Dann springt der Funke über. Es gibt Betriebe, die stellen ihren Auszubildenden ein Tablet zur Verfügung oder sie dürfen am Wochenende auch mal den Firmenwagen benutzen. Unsere Berufsberaterinnen und Berufsberater, die in die Schulen gehen, sind froh, wenn sie über solche Betriebe und die vielen spannenden Ausbildungsberufe des Handwerks berichten können.
DHB: Welche Förderinstrumente sind für das Handwerk interessant?
Withake: Das Qualifizierungschancengesetz ermöglicht es, einen beruflichen Abschluss über eine betriebliche Umschulung zu erwerben. Das ist ein guter Ansatz für Menschen, die bereits mitten im Leben stehen, sich wegen der schmalen Ausbildungsvergütung aber keine Ausbildung leisten könnten. Sie werden meistens als Helfer eingestellt. Einen Großteil der Kosten übernimmt dabei die Agentur für Arbeit. Das ist auch beim Teilhabechancengesetz der Fall. Mit dem Teilhabechancengesetz leisten wir allerdings eher langfristig einen Beitrag zur Fachkräftesicherung. Es geht um Menschen, die seit längerer Zeit nicht mehr erwerbstätig waren. Ihnen werden einfachere Tätigkeiten anvertraut, mit denen sie die Fachkräfte entlasten. Sie könnten morgens etwa die Fahrzeuge der Monteure beladen oder zwischendurch Material besorgen. Das müssen dann nicht mehr die Gesellen erledigen. Wenn sie über solche einfachen Tätigkeiten ihr Selbstbewusstsein stärken, fühlen sie sich wertgeschätzt und trauen sich mehr zu. Dann kommt der zweite Schritt. Wir können in ihre Qualifizierung investieren und sie Baustein für Baustein sogar bis zur Externenprüfung führen. Das wäre ein Riesenschritt, der jedoch sehr viel Ausdauer erfordert.
DHB: Über das Qualifizierungschancengesetz werden nicht nur betriebliche Umschulungen, sondern auch Anpassungsqualifizierungen für Beschäftigte gefördert. Davon ist bislang aber noch nicht viel zu hören.
Withake: Das stimmt. Da geht noch deutlich mehr. Es muss ja nicht immer gleich die lange Qualifizierung sein. Ab 160 Unterrichtsstunden können wir Lehrgänge fördern. Das Qualifizierungschancengesetz ist perfekt auf Kleinst- und Kleinbetriebe zugeschnitten, weil bis zu 100 Prozent der Lehrgangskosten und des Arbeitsentgelts von den Agenturen für Arbeit übernommen werden können.
DHB: Die Arbeitsagenturen unterstützen die Betriebe nicht nur bei der Suche nach Fachkräften, sondern auch bei der Ausbildung junger Menschen. Was haben Sie da im Angebot?
Withake: Es gibt verschiedene Bausteine. Da ist zuallererst die Einstiegsqualifizierung. In einem verlängerten Praktikum von sechs, sieben Monaten können jungen Menschen, die nicht gerade das beste Zeugnis hatten, zeigen, was in ihnen steckt, wieder Spaß am Lernen entwickeln und sich für eine Ausbildung empfehlen. Dann gibt es die assistierte Ausbildung, bei der leistungsschwächere Jugendliche während der Ausbildung begleitet werden. Nummer drei: die ausbildungsbegleitenden Hilfen. Sie können von allen Auszubildenden genutzt werden, beispielsweise wenn sie in der Berufsschule nicht mehr so gut mitkommen. An dieser Stelle möchte ich appellieren: Bevor eine Ausbildung deshalb abgebrochen wird, sollten sich der Betrieb oder der Auszubildende an die Berufsberatung oder an den Berater im Arbeitgeber-Service wenden, um gemeinsam eine Lösung zu erarbeiten.
DHB: Werden denn all diese Instrumente vom Handwerk schon genutzt?
Withake: Werden sie, aber es geht immer noch ein bisschen mehr. Gerade bei der Qualifizierung von Beschäftigten haben wir noch Potenzial. Wir sollten uns anschauen, wo es im Handwerk gute Beispiele gibt. Denn das ist ja gerade seine Stärke – dass es andere von der tollen Arbeit begeistern kann.
DHB: Ende 2019 haben Sie den Vorsitz der Geschäftsführung bei der Regionaldirektion NRW übernommen und sich unter anderem vorgenommen, leistungsfähige Netzwerke auf- und auszubauen. Ist das Handwerk darin schon eingebunden?
Withake: Natürlich. Wir arbeiten mit verschiedenen Organisationen des Handwerks schon lange zusammen. Allerdings sollten wir gemeinsam überlegen, ob wir schon alle Potenziale in Sachen Ausbildung und Fachkräftesicherung ausgeschöpft haben.
DHB: Am 1. März ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft getreten. Wie wird es sich auf den Arbeitsmarkt in NRW auswirken?
Withake: Neben der Ausbildung, der Qualifizierung von an- und ungelernten Beschäftigten sowie der Qualifizierung und Integration von arbeitslosen Menschen in den Arbeitsmarkt ist Zuwanderung die vierte Möglichkeit, Fachkräfte zu gewinnen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz wird nicht von jetzt auf gleich eine gigantische Wirkung entfalten. Deutschland ist eines von vielen Ländern, das Fachkräfte aus dem Ausland anwirbt. Und auch wenn das neue Gesetz Erleichterungen bringt, kommen jetzt nicht automatisch und schnell tausende zusätzliche Fachkräfte nach Deutschland. Dabei wird deutschlandweit bis 2060 von einem jährlichen Einwanderungsbedarf von 260.000 Menschen, davon 114.000 aus EU-Staaten und 146.000 aus Drittstaaten, ausgegangen.
DHB: Welche Anwerbestrategie würden Sie verfolgen?
Withake: Wir sollten strukturiert vorgehen und uns fragen: Welche Berufe haben den größten Bedarf? In welchen Regionen finden wir Bewerber, deren Kompetenzen mit unseren Berufen möglichst vergleichbar sind? Dabei müssen wir auch darauf achten, dass es zu einem fairen Austausch kommt, der nicht zu Lasten des abgebenden Staates geht. Der nächste Schritt wäre dann, Kooperationen vor Ort aufzubauen beziehungsweise zu nutzen, über die wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewinnen können, die nach Deutschland kommen möchten. Und wir sollten die Ressourcen im Blick behalten. Es dürfte effizienter sein, eine Gruppe von zehn bis 15 Fachkräften eines Berufes anzuwerben als sich in Einzelanfragen zu verlieren. Um Erfolg zu haben, wird es jedoch wichtig sein, eine Willkommenskultur zu schaffen. Die Menschen müssen das Gefühl haben, dass sie und ihre Familien in Deutschland mit offenen Armen empfangen werden. Da hat sich das Handwerk bereits in der Integration von Flüchtlingen bewährt.
DHB: Welche Rolle kommt der BA beim Fachkräfteeinwanderungsgesetz zu?
Withake: Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz ist ein Bekenntnis zu der Tatsache, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und auch sein will, um den Fachkräftebedarf zu decken. Dabei werden wir der Mittler zwischen den Zuwanderern und den Arbeitgebern in Deutschland sein.
DHB: Die wenigstens Unternehmer dürften sich gerne mit dem Teilhabechancengesetz oder mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz beschäftigen. An wen können sie sich wenden?
Withake: Das sollten sie mit den Profis – unseren Beratern im Arbeitgeber-Service – besprechen. Wesentlich ist, dass Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Auszubildender zusammenfinden und es miteinander versuchen wollen. In diesen Fällen finden wir auch immer eine Unterstützungsmöglichkeit – auch finanziell - wenn es angezeigt ist.
Das Interview führten Bernd Lorenz und Lars Otten
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