Im Interview: ZDH-Präsident Jörg Dittrich.

Im Interview: ZDH-Präsident Jörg Dittrich. (Foto: © ZDH/Henning Schacht)

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Die Schmerzstelle deutlich machen

Handwerkspolitik

Mit Blick auf die Rahmenbedingungen für die Wirtschaft wird es Zeit für Reformen. Das Handwerk hat sich in der Politik Gehör verschafft. ZDH-Präsident Jörg Dittrich über die Lage der Branche.

DHB: Welche Konsequenzen haben die Ergebnisse der ostdeutschen Landtagswahlen für das Handwerk? Muss sich das Handwerk anders aufstellen? 
Jörg Dittrich:
Wir sind die Interessenvertretung des Handwerks, keine Partei. Daher steht es uns nicht an, zu werten, wer wen wählt. Doch wir grenzen uns klar von antidemokratischen Positionen, Rassismus, Hass und Hetze ab. Es darf nicht schleichend zur Normalität werden, dass dies in unsere Gesellschaft getragen und so die Grundprinzipien unserer Demokratie und Sozialen Marktwirtschaft zerstört werden. Das Handwerk und die Wirtschaft insgesamt brauchen Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Weltoffenheit. Gerade als Exportnation sind wir auf diese Offenheit angewiesen: Wenn Parteien an den extremen Rändern den Euro in Frage stellen oder eine protektionistische Wirtschafts- und Handelspolitik verfolgen, schadet das der Wirtschaft und damit unseren Betrieben. Unsere Aufgabe als Interessenvertretung ist es, den Diskurs auf handwerksrelevante Themen zu lenken und dafür Lösungen zu fordern. Das ist keine Wahlempfehlung, sondern eine Notwendigkeit, wenn parteipolitische Positionen wirtschaftsschädigend sind – und damit nicht im Interesse unserer Betriebe und Beschäftigten. 

DHB: Viele Themen sind emotional besetzt.
Dittrich:
Das stimmt, viele Handwerkerinnen und Handwerker sind emotional betroffen und äußern in Veranstaltungen ihren Unmut lautstark, weil sie eine andere Politik wollen. Aber es muss uns als Handwerksorganisation um die Inhalte gehen, die wir – Innungen, Kreishandwerkerschaften, Kammern, Zentralfachverbände – versuchen müssen, möglichst geschlossen im Sinne des Handwerks durchzusetzen. "Auf den Tisch hauen", wie vielfach gefordert, ist da nicht hilfreich. Wir fordern Respekt von der Politik, diesen sollten wir dann ihr gegenüber auch selbst zeigen. Das bedeutet nicht, dass wir in der Sache nicht knüppelhart sein dürfen. Das ist sogar unsere Aufgabe: Immer dort, wo die Schmerzschwelle für unsere Betriebe und Beschäftigen überschritten wird, müssen wir auf Verbesserungen dringen.   

DHB: Vieles basiert auf Glauben, nicht Fakten…
Dittrich:
…weil häufig Ängste dahinterstehen. Ob die geopolitische Entwicklung oder die Digitalisierung – viele fürchten, dass die Zukunft schlechter wird, besonders in einer alternden Gesellschaft. Wenn die Mehrheit älter ist, hat das natürlich Einfluss auf die Stimmung im Land. Ich sehe uns in der Verantwortung, der nächsten Generation auch Zuversicht mitzugeben. 

DHB: Dann können Sie aber nicht die schlechte Lage des Handwerks beklagen – und gleichzeitig den Nachwuchs animieren, als Fachkraft in diese Branche zu kommen! 
Dittrich:
Tatsächlich ist es so, dass wir keinen Nachwuchs gewinnen werden, wenn wir immer nur sagen, wie schwierig die Lage im Handwerk ist. Das kann aber auch nicht bedeuten, die bestehenden Strukturprobleme zu verschweigen und auszublenden. Wenn wir auf diese Defizite nicht hinweisen, wird sich nichts zum Besseren wenden. Insofern sind wir hier auf einer Gratwanderung: Wir müssen die aktuellen Schwierigkeiten und den Wandel aufzeigen und gleichzeitig klarmachen, dass das Handwerk in der langen Perspektive zu den Gewinnern gehört. Beispielsweise schafft das Ziel der CO2 Einsparung im Handwerk Arbeit, es wirkt wie eine Arbeitsbeschaffung für das Handwerk. Wer sonst soll den Umbau von Heizungen oder die Installation von PV Anlagen bewältigen. Unsere Aufgabe als Handwerksorganisation ist es, berechtigte Kritikpunkte aufzugreifen und zu vermitteln, ohne dabei die generell positiven Zukunftsaussichten des Handwerks aus den Augen zu verlieren. 

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DHB: Auch wenn Fachkräfte fehlen?
Dittrich:
In Zukunft wird sicherlich niemand mehr um eine Lehrstelle betteln. Diese neue, demografisch bedingte Realität müssen wir anerkennen und darauf reagieren. Selbst wenn jeder Betrieb in die Schule geht, um dort Azubis zu finden, wird es rein zahlenmäßig nicht reichen. Der demografische Wandel erfordert, dass wir uns verstärkt um Zuwanderer, Schul- oder Studienabbrecher, Menschen mit schwierigem Lebensweg kümmern müssen. Hier muss die Politik für die entsprechenden Rahmenbedingungen sorgen und mit Förderung und Wertschätzung unterstützen. 

DHB: Was kann die Handwerksorganisation tun, um Jugendliche zu motivieren?
Dittrich:
Wir setzen auf positive Botschaften und auf Vorbilder im Handwerk. Und darauf, uns in der Politik Gehör zu verschaffen. Bei der Wachstumsinitiative waren wir damit erfolgreich. Da stehen Punkte drin, die von uns kommen, etwa die Praxischecks: Diese sollen nun nach dem Beschluss der Bundesregierung im Rahmen der "Wachstumsinitiative" auf alle Bundesministerien ausgedehnt werden. Und wir setzen zudem zur Motivierung von Jugendlichen vor allem auch auf unsere Imagekampagne. Mit der haben wir es geschafft, dem Handwerk wieder mehr Bekanntheit und Wertschätzung zu verschaffen. Jetzt gilt es, dass die Betriebe das nutzen, um für sich Nachwuchs oder Fachkräfte zu finden und zu binden.

Dittrich: Wir setzen auf positive Botschaften und auf Vorbilder im Handwerk. Und darauf, uns in der Politik Gehör zu verschaffen. Foto: © ZDH/Henning SchachtDittrich: Wir setzen auf positive Botschaften und auf Vorbilder im Handwerk. Und darauf, uns in der Politik Gehör zu verschaffen. Foto: © ZDH/Henning Schacht

DHB: Kritiker sagen, da müsse sich zum Beispiel etwas an der Lohnhöhe tun.
Dittrich:
Da halte ich gegen: Die Löhne im Handwerk sind gestiegen und wir bieten sowohl Sicherheit als auch Perspektive. Es gibt viele Beispiele, warum Menschen lieber in kleinen Betrieben als in Konzernen arbeiten. Das liegt besonders an der familiären Struktur, man ist Teil einer echten Gemeinschaft. Nicht ohne Grund sprechen wir von der Handwerksfamilie. Das hat eine große Anziehungskraft und viele ziehen daraus auch Zuversicht. Das wollen wir für die Imagekampagne nutzen. Wir treffen auf eine Gesellschaft, die verunsichert und ängstlich ist. Und im Zentrum unserer Kampagne steht die Zuversicht. Ich halte das für eine starke Botschaft, wenn eine ganze Branche, das Handwerk, für eine positive Zukunft steht.

DHB: Wenn die Mitt- und Endfünfziger vor der eigenen Betriebsübergabe stehen und die schlechte Lage beklagen, laufen sie Gefahr, keine Nachfolge zu finden. Gerade sie müssten doch Lust am Unternehmertum versprühen! 
Dittrich:
Ich sehe das genauso. Wir Menschen werden älter, was gut ist. Aber wenn einige mit Ende 50 beschließen, teils auch aus Frustration, genug gearbeitet zu haben und früher in Rente gehen wollen, ist vielen vermutlich nicht bewusst, wie viele Jahre den Meisten noch vergönnt sind. Dass dann noch zwei oder drei Jahrzehnte kommen. Das Problem könnte werden: In deren 70ern sind dann die finanziellen Reserven aufgebraucht. Aber es müssen dann immer noch ein oder zwei weitere Lebensdekaden finanziell gesichert sein. Mit einem zu frühen Ausstieg laufen sie Gefahr, später in die Altersarmut zu gleiten. Ich sehe daher eine Verantwortung bei gestandenen selbstständigen Meisterinnen und Meistern, etwas Positives weiterzugeben, mag das manchmal auch schwer sein. 

DHB: Viele verpassen den richtigen Zeitpunkt, um eine Betriebsübergabe einzuläuten?
Dittrich:
Es gibt leider Betriebe, die den richtigen Zeitpunkt verpassen. Ich habe mit 55 bei mir im Betrieb den Prozess begonnen und meinem Neffen Anteile übertragen, da war er gerade mal 28 Jahre. Aber auf was hätte ich denn warten sollen? Bis er 40 ist? Er hat seine Ausbildung und seinen Meister gemacht, ist mit 21 Jahren in Verantwortung gekommen und hat sich bewährt. Weiß ich denn, ob er in zehn oder 20 Jahren noch Lust darauf hat? Also muss ich mich doch möglichst jetzt schon darum bemühen, dass er den Job klasse findet und Lust darauf verspürt, den Betrieb zu führen. Unternehmer müssen selbst Lust auf ihre Arbeit und den Generationswechsel vermitteln, sonst wird die Nachfolge nicht gelingen. Gerade ältere Betriebsinhaber müssen erkennen, dass sie mit dafür verantwortlich sind, die Begeisterung für das Unternehmertum weiterzugeben: Es ist ihre Aufgabe, dem Nachwuchs Appetit auf die Führungsrolle zu machen, bei allen Problemen, die auch ich aus meiner Firma kenne.

DHB: Wäre da nicht die Bürokratie.
Dittrich:
Leider! Umfragen besagen, dass knapp 80 Prozent der Meisterabsolventinnen und -absolventen nicht in die Selbstständigkeit gehen wollen. Und von denen wiederum geben etwa 35 Prozent als Grund dafür die überbordende Bürokratie, die "Angst vor Formularen" an. Hier muss die Politik dringend mutiger und entschlossener agieren. Die bisherigen Bürokratieentlastungsgesetze sind in den Betrieben nicht als Entlastung spürbar. 

DHB: Mit der Nachhaltigkeitsberichterstattung klopft das nächste Bürokratiemonster an der Tür. 
Dittrich:
Ja, das ist ein Beispiel dafür, dass Regelungen völlig an der Realität vorbeigehen und mehr Schaden anrichten, als dadurch an Nutzen im Sinne der angestrebten Ziele erreicht wird. Ursula von der Leyen will die Bürokratie um 35 Prozent reduzieren, und das KMU-Entlastungspaket der EU sollte eigentlich verhindern, dass Offenlegungspflichten unsere Betriebe zusätzlich belasten. Doch schon rollt die nächste Bürokratiewelle auf uns zu. Kleine und mittlere Unternehmen könnten geschützt werden, wenn Großunternehmen nicht verpflichtet wären, Daten der Lieferkette bei kleinen Betrieben einzufordern. Durch solche Vorgaben geraten Handwerksbetriebe plötzlich in die Pflicht, Nachhaltigkeitsdaten zu liefern. Mindestens sollten die Obergrenzen für solche Daten deutlich gesenkt werden. Ein freiwilliger Nachhaltigkeitsberichtsstandard, der gerade entwickelt wird, könnte hier Abhilfe schaffen und ein Chaos wie beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz verhindern. Hoffentlich führt die derzeitige politische Lage dazu, dass der Mut für solche Schritte aufgebracht wird.

DHB: Wenn Sie eine Wunschliste hätten: Was sollte die Bundesregierung im Sinne des Handwerks umsetzen?
Dittrich:
Die Überschrift lautet: Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit. Politik sollte im Hinterkopf haben: Wenn es dem Handwerk mit seinen 5,6 Millionen Beschäftigten und deren Angehörigen in Stadt und Land gut geht, dann macht das auch etwas mit der Stimmung, dann lässt sich diese drehen. Und wo muss Politik ansetzen, damit die Wirtschaft wieder in Schwung kommt? Natürlich bei einer Energiepolitik, die Antworten gibt, woher 2030 eine grundlastfähige Energie zu einem wettbewerbsfähigen Preis herkommt. Dann bei einem Bürokratieabbau, der spürbar Freiräume schafft. Zudem wird das Thema der Lohnzusatzkosten immer brisanter, denn es drohen heftige Steigerungen der Sozialabgaben in der Pflege- und Kranken-, aber auch der Rentenversicherung. 

DHB: Wo soll die Finanzierung herkommen?
Dittrich:
Die Diskussion über die Finanzierung der Sozialversicherung ist schwierig, aber unvermeidbar, wenn wir die Sozialsysteme funktionsfähig halten wollen. Vorschläge in diesem Bereich stoßen schnell auf den Vorwurf des Sozialabbaus. Wir müssen jedoch die Lohnzusatzkosten senken, da sie Betriebe und Beschäftigte stark belasten. Ich werbe bei den Arbeitnehmern dafür, dass Reformen mehr Netto vom Brutto bringen. Das erfordert aber auch, an manchen Stellen mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Vielleicht braucht es auch unpopuläre Maßnahmen: Zumindest sollte es möglich sein, über denkbare Reformmöglichkeiten zu diskutieren. Es kann uns nicht kalt lassen, wenn Krankenstände in schwindelerregende Höhen steigen und wir kostenseitig gegenüber anderen Ländern unterliegen.  Aktuell jedoch wird schon reflexartig jeder Vorschlag dazu sofort wieder kassiert. Kritik ist leicht, aber ohne eigene Vorschläge bringt uns das nicht weiter. Dabei gefährdet ein "Weiter-so" die Zukunft unserer Sozialsysteme noch viel mehr. Es ist allerhöchste Zeit, dass wir uns damit auseinandersetzen. Wir kommen daran nicht vorbei.

DHB: Der geforderte große Wurf blieb bei allen Reformen immer aus.
Dittrich:
Ich befürchte, die große Reform wird wohl ausbleiben. Aber wir können es uns nicht leisten, keinen Schritt zu gehen. Wir stehen im globalen Wettbewerb und können nicht einfach verlangen, dass das Spiel abgepfiffen wird, nur weil uns in der 70sten Minute die Luft ausgeht. Die Amerikaner und Chinesen werden weiterspielen. Daher müssen wir uns anstrengen, wieder fitter zu werden, wir müssen ins Trainingslager gehen, damit wir im Wettbewerb mithalten können. Nebenbeigesagt macht gewinnen auch mehr Spaß, wenn man nach hartem Training, dann auch belohnt wird.

DHB: Sehen Sie bei der Bundesregierung eine echte Handlungsfähigkeit?
Dittrich:
Es wird auf jeden Fall höchste Zeit, dass die Regierung handelt. Die Landtagswahlen im September haben davor zu einem monatelangen Stillstand geführt, eigentlich seit Ende Mai des Jahres. Dass laut Umfragen der Ampel-Regierung nur noch die wenigsten zutrauen, das Ruder herumzureißen, sehe ich als einzige Chance, uns allen noch das Gegenteil zu beweisen. 

Das Interview führten Martina Jahn und Stefan Buhren

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Text: / handwerksblatt.de

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