Bernd Cullmann (l.) hat als Startläufer die Grundlage für die Goldmedaille der Staffel 1960 gelegt. Seine Heimatstadt Idar-Oberstein hat ihm einen grandiosen Empfang bereitet. Die Kinder hatten schulfrei.

Bernd Cullmann (l.) hat als Startläufer die Grundlage für die Goldmedaille der Staffel 1960 gelegt. Seine Heimatstadt Idar-Oberstein hat ihm einen grandiosen Empfang bereitet. Die Kinder hatten schulfrei. (Foto: © Privatarchiv Bernd Cullmann)

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Ein Knall und 39,5 Sekunden, die alles veränderten

Bernd Cullmann (84) ist Edelsteinschleifermeister und Olympiasieger: Mit der 4-mal-100-Meter-Staffel gewann er am 8. September 1960 olympisches Gold für Deutschland.

Bernd Cullmann lebt und arbeitet in Idar-Oberstein. Er ist 84 Jahre alt und Edelsteinschleifermeister. Seinem Handwerk geht er täglich nach, "nicht, weil ich muss, sondern weil es mir einfach unfassbar viel Spaß macht". Das ist das eine Leben. Das andere prägte der 8. September 1960.

Es ist 18.10 Uhr. Ein lauter Knall, dann rennt der 20-jährige ­Cullmann los, so schnell ihn die Beine tragen. Nach gut 100 Metern übergibt er den Staffelstab an Armin Hary, der an Walter Mahlendorf. Letzter Läufer der 4-mal-100-Meter-Staffel ist Martin Lauer. Nach genau 39,5 Sekunden überläuft er die Zielgerade in diesem olympischen Finale. Weltrekord! Und Olympia-Gold in dieser Königsdisziplin, die seit 1920 immer die USA gewannen. Einmalig bei Olympischen Spielen zwischen 1920 und 1976 gibt es nun einen anderen Sieger: Deutschland. Bernd Cullmann hat als Startläufer die Grundlage dafür gelegt. 

Bernd Cullmann Foto: © Jörg DiesterBernd Cullmann Foto: © Jörg Diester

64 Jahre später. Bernd Cullmann empfängt gerne Besucher dort, wo er arbeitet. Werkstattgespräch. Und zu erzählen hat er genug. Über das Sportlerleben, über sein Handwerk, Privates. Wer Zeit mitbringt, erfährt viel. Nicht nur über diesen außergewöhnlichen Mann, sondern auch über Werte, die aus seiner Sicht das Leben ausmachen.

"Eigentlich schlug mein Herz für den Fußball", berichtet er über den Beginn seiner Sportkarriere. Bei einem Leichtathletikfest in Koblenz fällt seine extreme Schnelligkeit über die 100 Meter auf. "Es folgte ein Spagat aus Fußball und Rennerei." Was ihm zum Verhängnis wird, denn 1959 verletzt er sich auf dem Fußballplatz am Meniskus.

Es folgt eine Operation. "Reha gab es damals noch nicht, und die Sache verheilte so lala." Was dazu führt, dass ihn die Bundeswehr als untauglich einstuft. "Bei der Musterung wurde ich vermessen, und das eine Bein war zwei Zentimeter kürzer als das andere. Da war ich raus." Mit diesen zwei ungleichen Beinen trainiert er eisern weiter. Das Ziel: Olympia in Rom.

"Ich war in der Topform meines Lebens, voller Energie und Kraft."

Er tritt in der Einzeldisziplin an und schafft es nicht in den Endlauf. In der Staffel läuft es umso besser, und bereits im Vorlauf wird der Weltrekord geknackt. Es kommt der 8. September. Finale in einem vollbesetzten Stadion. Deutschland geht auf Bahn fünf ins Rennen und Cullmann schafft als Blitzstarter eine Sensation: Er läuft allen davon, sogar dem Dauersieger USA. "Ich war in der Topform meines Lebens, voller Energie und Kraft." 39,5 Sekunden später ist der Fachmann für edle Steine ein Goldjunge.

Idar-Oberstein bereitet ihm einen grandiosen Empfang. In der Stadt gilt der Ausnahmezustand. Schulen bleiben zu, in den Betrieben wird nicht gearbeitet. Die Bewohner stehen Spalier an den Straßen und feiern ihren neuen Star, der ihnen die Goldmedaille mitgebracht hat. Bis heute kann man sie im Rathaus bewundern, denn Cullmann hat sie als Dauerleihgabe der Stadt überlassen. Der einzige Sportler weltweit, der so etwas bisher tat. Das ist auch ein Bekenntnis zur Heimat. Er selbst arbeitet danach einige Jahre als Sportlehrer an der Schule direkt neben dem Geburtshaus, in dem er heute noch lebt. Im Keller richtet er sich die Werkstatt ein, in der Steine den richtigen Schliff erhalten.

Der Sportler Cullmann spielt mit dem Handwerker in einer Liga

Damit setzt Bernd Cullmann ein familiäres Lebenswerk fort, denn auch der Großvater und Vater waren Edelsteinschleifer. "Ich bin ein einfacher Kerl", sagt er. Der es weit gebracht hat. Sogar bei der UNO in New York hat er als Botschafter des Landes sein Handwerk demonstriert. Dafür wurde sogar sein Arbeitsplatz samt Schleifscheibe eingeflogen. Mindestens genauso gut, wie er 1960 lief, arbeitet er bis heute als Handwerker. Wenn er das erklärt, wird es eindeutig: Der Sportler Cullmann spielt mit dem Handwerker in einer Liga. "Da stelle ich nicht das eine über das andere." Wobei das Handwerk noch immer in der Praxis eine wichtige Rolle spielt.

Das Handwerk hat ihn rund um den Globus mit vielen interessanten Menschen zusammengebracht

Foto: © Jörg DiesterFoto: © Jörg Diester

Täglich hält sich Cullmann an der Schleifscheibe fit und schafft immer noch filigrane Kunstwerke, die zutiefst beeindrucken. Nur mit der Lupe lassen sich die hochpräzisen Schliffe im Detail erkennen. Voller Begeisterung kann der Handwerksmeister für jedes Stück die Entstehungsgeschichte erklären. Das Handwerk hat ihn rund um den Globus ge- und mit vielen interessanten Menschen zusammengebracht. Selbst Adlige des englischen Königshauses standen neben ihm und haben fasziniert zugesehen, wenn Cullmann den Dingen ihren finalen Schliff verpasste.

Eine sportliche Erscheinung – das ist er bis heute, auch wenn er nicht mehr laufen geht. Der Kontakt unter den römischen Goldjungs besteht, auch wenn Martin Lauer vor fünf Jahren verstorben ist. "Mit den anderen beiden telefoniere ich oder wir treffen uns. Das ist dann auch lustig, wenn einer von uns als einstmals schnellster Mensch der Welt heute mit dem Rollator unterwegs ist." Cullmann lacht herzhaft. Ja, er hat viel zu erzählen. Deshalb schreibt er gerade seine Lebensgeschichte auf. Zum Jahresende soll seine Biografie zum Nachlesen erscheinen – ein Plädoyer für das Handwerk vom Olympiasieger.

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Text: / handwerksblatt.de