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Schulleiter Joachim Maiß wartet nicht darauf, bis die Milliarden aus dem angekündigten DigitalPakt endlich kommen. Die MMBbS Hannover setzt auf eigene Konzepte.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Digitale Medien in der Berufsausbildung
Geld macht nicht unbedingt glücklich. Joachim Maiß fällt dazu gleich etwas ein – die von Ex-Bundesbildungsministerin Johanna Wanka angekündigten Mittel für den Digitalpakt Schule. "Seit zwei Jahren passiert gar nichts mehr, weil alle darauf warten, wie die fünf Milliarden Euro verteilt werden", kritisiert der Leiter der Multi-Media Berufsbildende Schule (MMBbS) in Hannover.
Zudem stört ihn, dass man nur noch darüber spricht, "wie das blöde Kabel eingebuddelt wird". Dabei gehöre die Anbindung der Schulen ans Internet – wie die Versorgung mit Strom und Wasser – zu den Grundaufgaben der Kommunen. Joachim Maiß könnte sich Schöneres vorstellen, als das Geld "im Tiefbau zu versenken".
Völlig neue Schule für IT- und Medienberufe
Joachim Maiß (l.) ist Leiter der Multi-Media Berufsbildende Schule in Hannover und zusammen mit Eugen Straubinger auch Bundesvorsitzender des Bundesverbandes der Lehrkräfte für Berufsbildung Foto: © BvLB/Marco UrbanÜber das Tiefbau-Problem hat man sich für die MMBbS von vornherein Gedanken gemacht. Die Schule ist ein Kind der Weltausstellung in Hannover. "Auf der Expo 2000 war Multimedia das große Zauberwort, und man hatte die wahnwitzige Idee, eine völlig neue Schule für IT- und Medienberufe aufzumachen."
Undenkbar ohne leistungsfähige Technik. Inzwischen verfügt die Schule über eine Gigabit-Leitung. Darüber werden alle Räume mit W-LAN versorgt. Die Schüler loggen sich über mm-bbs.de ein und können auf alle Ressourcen zugreifen. Sämtliche Anwendungen sind webbasiert. Die Programme liegen auf externen Servern, welche die Schule von einem Rechenzentrum mietet.
Übungsfirmen bringen Geld und Praxis in die Schule
Die Multi-Media Berufsbildende Schule befindet sich direkt neben dem Gelände der Messe Hannover und in der Nachbarschaft der Hochschule und Fachhochschule. Foto: © MMBbSDass Joachim Maiß von Anfang an aus dem Vollen schöpfen konnte, war jedoch an die Bedingung geknüpft, ein neues Konzept zu entwickeln. Knapp zusammengefasst ist es für alle gut sichtbar über dem Haupteingang zu lesen: MMBbS ... mehr als Schule. Zu den zentralen Elementen zählen die Übungsfirmen.
Über die Werbeagentur mit angeschlossener Druckerei sowie die eigene Radio- und Fernsehproduktion werden reale Projekte in den Unterricht geholt. Das damit verdiente Geld investiert die Schule wiederum in die neueste Technik. "Unsere Angebote orientieren sich an den marktüblichen Preisen. Das Volumen der Aufträge ist so gering, dass wir der Wirtschaft damit nicht schaden", versichert der Schulleiter. Im Gegenteil, die Betriebe kämen sogar auf die Schule zu. Diese Partnerschaft zu verbessern, dürfte auch die Digitalisierung voranbringen. "Wir müssen raus in die Betriebe, die berufsbezogenen Anforderungen als Lernsituation in die Schule holen und dann schauen, welche Technik wir brauchen – und nicht, wie jetzt, umgekehrt."
E-Didaktik fehlt noch
Bildbearbeitung lernen die künftigen Mediengestalter Digital und Print mittels leistungsfähiger Hardware. Auch wegen der sehr guten technischen Infrastruktur ist die MMBbS von WorldSkills Germany zum Bundesleistungszentrum ernannt worden. Foto: © MMBbSDer Einsatz elektronischer Geräte dürfte die Wissensvermittlung verändern. Gesucht wird eine E-Didaktik. Denn Technik allein verbessert nicht zwangsläufig die Qualität des Unterrichts. Maiß führt als Beispiel "Moodle" an. In das Lernmanagementsystem können Lehrer ihre Materialien hochladen und den Unterricht im Prinzip für das gesamte Schuljahr "durchstylen". Die Schüler bräuchten nur noch Aufgabe für Aufgabe abzuarbeiten – wie bei einer Checkliste.
Genau darin sieht der Pädagoge einen "knallharten Nachteil". Denn Routinetätigkeiten wie diese könnten künftig auch von Systemen übernommen werden. "Wir brauchen aber Fachleute, die ein Problem aus allen Blickwinkeln betrachten und kreative Lösungen finden." Moodle müsse demnach so genutzt werden, dass es den Schülern im Lernprozess zum richtigen Zeitpunkt Entscheidungsalternativen biete.
Für die Bildung in einer digitalen Welt liefert die Politik schon gute Ansätze. Mit ihrem gleichnamigen Papier habe die Kultusministerkonferenz einen "genialen Spatenstich" gesetzt. Doch die Umsetzung dauert Joachim Maiß zu lange. Deshalb sucht er anderswo nach Gleichgesinnten. "An jeder Schule gibt es ein paar Verrückte, die schon richtig gute Sachen machen." Im Netzwerk "Berufsschule digital" (siehe Info-Kasten) hat er einige gefunden.
Was müssen berufliche Schulen jungen Menschen für ein Leben und Arbeiten in der digitalisierten Welt vermitteln? Wie kann ihnen das möglichst gut gelingen? Und was bedeutet dies für die Lehrerfortbildung? Fragen wie diesen geht die Deutsche Telekom Stiftung mit zehn berufsbildenden Schulen nach. Bis Ende 2019 werden sie klären, welche berufsübergreifenden und berufsspezifischen digitalen Kompetenzen Berufsschüler erlernen müssen und welche Bedingungen berufliche Schulen benötigen, um digitale Medien in ihren Unterricht und Alltag einbinden zu können. Zum Netzwerk "Berufsschule digital" gehören neben der Multi-Media Berufsbildenden Schule in Hannover unter anderem das Berufskolleg Kreis Höxter in Brakel, das Hans-Böckler-Berufskolleg in Marl/Haltern und das Trierer Balthasar-Neumann-Technikum.
Ein weiteres Projekt ist das "digitale Spielzimmer". Dabei kooperieren seine und zwei weitere berufsbildende Schulen mit den Hochschulen in Bamberg, Lüneburg und Hannover. Drei Klassenräume, die über eine schnelle Internetverbindung verfügen, werden mit Beamern, Displays, Tablets und VR-Brillen vollgestopft. Gemischte Teams sollen sich dort damit austoben. "Es gibt Virtual- und Augmented-Reality. Aber wie lässt sich beides in den Unterricht einbauen? Fragen wie diesen sollen Lehrer, Referendare, Studenten, Fachleiter, Ausbilder, eventuell auch Berufsschüler, nachgehen."
Digital-Konzept "brachial umgestellt"
Vor vier, fünf Jahren hat Joachim Maiß das digitale Konzept seiner Schule "brachial umgestellt". Stationäre Rechner oder Notebook-Container werden auf Dauer verschwinden. Schüler und Lehrer bringen ihre eigenen Endgeräte mit (engl.: Bring Your Own Device, BYOD). "Wir stellen nur noch die wichtigste Ressource zur Verfügung: eine schnelle Internetverbindung." Das System sei so ausgelegt, dass jeder mit drei Geräten darauf zugreifen könne. "Digitalisierung wird nur funktionieren, wenn Lehrer und Schüler ihr eigenes Endgerät 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche nutzen können. Die Zukunft heißt BYOD."
Und sie kann überall sofort beginnen. "Ein digitales Spielzimmer einzurichten, ist keine Hexerei." Jede Schule habe einen Förderverein oder könne sich an Unternehmen wenden. "Und wer gar kein Internet hat, der kauft sich beispielsweise für 85 Euro einen Cube von Vodafone. Damit hat man fürs Erste genug Ressourcen, um in dem Raum arbeiten zu können."
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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