Kommentar: Gemeinsam stark?
Mit der Wertegemeinschaft "Der faire Salon" will Friseurmeister René Krombholz nachhaltiges Wirtschaften und das Gemeinwohl fördern. Das überwiegende Gegeneinander in der jetzigen Gesellschaft bereitet ihm Sorgen.
René Krombholz ist Friseurmeister in Düsseldorf. Vor zehn Jahren gründete er für seine Branche die Wertegemeinschaft "Der faire Salon". Deren Mitglieder stehen für nachhaltiges Wirtschaften und Verantwortung fürs Gemeinwohl und bekennen sich zum ehrbaren Handwerk. In der September-Ausgabe der Friseurzeitschrift Top Hair kommentiert der 70-jährige die Stimmungslage in der Gesellschaft, Kollegialität und die Bedeutung von Innungen.
Da habe ich doch in der Zeit des Lockdowns meinen 70. Geburtstag gefeiert. Oder besser gesagt erlebt, feiern war schließlich weder erlaubt noch angebracht. Es ist schon erstaunlich, wie dieses kleine – mit den Augen nicht sichtbare – COVID-19-Virus weltweit Gedanken und Menschen bewegt. In Deutschland sind wir glücklicherweise (bisher) mehr als glimpflich davongekommen. Umso mehr erstaunt es, wie kalt und feindselig es in unserer Gesellschaft geworden ist. Es geht vorwiegend gegeneinander, oft an der Schmerzgrenze, aber auch darüber hinaus, auf breiter Front fehlt der Wille, dieses Szenario gemeinsam zu meistern – auch in unserem Friseurhandwerk.
Kodex des ehrbaren Handwerks
Schnell sind die vermeintlich "Schuldigen" gefunden, Innungen und Verbänden werden Versäumnisse vorgeworfen. "Ist das wirklich so?", frage ich mich und denke an die Anfänge meiner über 50-jährigen Berufslaufbahn zurück. Da waren Innungen noch starke Gemeinschaften! Nach dem Vorbild der ehrbaren hanseatischen Kaufleute folgten auch die Mitglieder der Innung einer Art "Kodex des ehrbaren Handwerks". Die Mitgliedschaft war gleichbedeutend mit einem Gütesiegel, so wie früher "Made in Germany".
Somit war es auch nicht verwunderlich, dass der größte Teil der Handwerker in Innungen verbunden war, auch auf schwarze Schafe wurde geachtet, Missstände, aber auch Innovationen gemeinsam angegangen. Alten Fachzeitungen ist zu entnehmen, dass es sogar Prozesse gab, in welchen Friseure verurteilt wurden, weil sie ihre Leistung zu billig anboten und damit dem Berufsstand Schaden zufügten.
Die Innungsversammlungen dieser Zeit waren stark besucht, Posten und Ehrenamt begehrt. Das war die Normalität, dem Handwerk ging es gut und es entstanden Komfortzonen und Bequemlichkeit. Zum Ende des ausgehenden 20. Jahrhunderts änderten sich in der Erlebnis- und Spaßgesellschaft die Konsumprioritäten, der Friseurbesuch blieb plötzlich hinter anderen Angeboten zurück. Repräsentative Verbraucherumfragen, die eine relativ große Kundenunzufriedenheit beim Friseur aufzeigten, wurden vom ZV publiziert, Kampagnen gestartet, doch die Masse der Friseure lehnte sich bequem zurück. Andere wiederum nutzten dieses Wissen. So entstanden Discountfriseure, Cut-und-Go-Angebote und die Kunden strömten dorthin.
Kaum Bereitschaft für Ehrenamt
Auf die neue Konkurrenz wurde geschimpft, aber sie wurde nicht ernst genommen. Verlorener Umsatz wurde auch mit Innungsaustritten kompensiert, zudem war es derzeit angesagt, die gewonnene Zeit lieber im Fitnessstudio oder Restaurant als bei einer Innungsversammlung zu verbringen. Für die Innungen selbst bedeutete diese Entwicklung eine deutliche Schmälerung der Einnahmen und damit auch der Möglichkeiten. War es früher eine große Ehre, in den Innungsvorstand gewählt zu werden, so findet sich heute kaum noch die Bereitschaft, ein solches Amt ehrenamtlich auszuführen. Nicht zu vergessen: Inhaber größerer Ketten "opferten" sich hier in der Vergangenheit gerne, auch um eigene und andere Interessen durchzusetzen.
Dass Innungen nichts tun, ist ein Trugschluss, der darauf zurückzuführen ist, dass diese Institutionen mit den Mitgliedern kommunizieren und Außenstehende somit kaum etwas davon erfahren. Es gibt aber noch einen weit gravierenderen Unterschied zu früheren Zeiten. Fast alle Friseure regen sich über die Zunahme der Barbershops, Billigfriseure und deren Preisgestaltung, aber auch Verfehlungen, auf. Sobald jedoch irgendwo die Frage auftaucht, ob man solch gesetzeswidriges Verhalten nicht melden sollte, gibt es sofort einen Sturm der Entrüstung: "Kehrt vor eurer eigenen Tür – unmöglich so etwas – Denunziantentum – schämt euch, das sind Kollegen."
Damit wird solch ein Verhalten nicht nur toleriert, sondern Veränderungen werden auch verhindert. Eine Steigerung dessen erlebt man beim Umgang mit den vielen Sondergenehmigungen und Zulassungen zur selbstständigen Tätigkeit. Angeblich sind hier ebenfalls die Innungen und Kammern schuld. Dass sich parallel zum Friseurhandwerk seit Jahren ein ganzer Geschäftszweig etabliert hat, der damit beschäftigt ist, gesetzliche Bestimmungen zu unterlaufen, um Antragstellern den Zugang auch über den Gerichtsweg zu ermöglichen – das interessiert kaum.
Vermietung von Meisterbriefen gegen Entgelt
Dazu gehören auch viele Tausend Kollegen und Kolleginnen, die ihren Meisterbrief gegen Entgelt vermieten und solche dubiosen Geschäfte erst ermöglichen. Das ist ein Schlag ins Gesicht der Mitarbeiter der Handwerkskammern, die bemüht sind, die schwarzen Schafe ausfindig zu machen um deren Geschäfte zu schließen!
Kürzlich postete ein Kollege in unserer WhatsApp-Friseurgruppe die Telefonnummer des hiesigen Ordnungsamtes. Es ging eine rege Diskussion um die Nicht-Einhaltung der Hygienevorschriften voraus. Auch hier folgte direkt ein Shitstorm und zeigte die Uneinigkeit innerhalb des Kollegenkreises.
Werte weiterleben
Fakt ist: Innungen und Verbände sind Vertreter dieses Handwerks und wollen für die Interessen des Berufsstandes eintreten. Das allerdings wird erschwert, teilweise auch unmöglich, wenn nicht die Mehrheit an einem Strang zieht, sondern die Schattenwirtschaft stützt und stärkt und dazu schweigt. Kollegialität, Berufsstand, ehrbares Handwerk oder Denunziantentum und Zivilcourage – Wörter aus dem Vokabular des letzten Jahrhunderts. Einige Begriffe davon werden wir in die Zukunft retten müssen, um überleben zu können. Welche dieses sein werden, das muss jeder für sich selbst entscheiden."
Was sind Ihre Erfahrungen? Schreiben Sie uns Ihre Meinung -> info@handwerksblatt.de
Text:
René Krombholz /
handwerksblatt.de
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