Berufliche Bildung soll aus der Krise helfen
Die EU-Kommission will mit einem Maßnahmenpaket die Jugendbeschäftigung erhöhen und schlägt eine Kompetenzagenda vor. Das Handwerk begrüßt das, mahnt aber auch zur Wachsamkeit. Das System der beruflichen Bildung in Deutschland dürfe nicht verwässert werden.
Die Europäische Kommission will jungen Menschen helfen, sich am Arbeitsmarkt zu behaupten. Sie hat dazu ein Bündel an Maßnahmen vorgestellt, um die Jugendbeschäftigung zu erhöhen. Außerdem schlägt sie eine Europäische Kompetenzagenda vor. Mit dem Paket zur Förderung der Jugendbeschäftigung konzentriert sich die Kommission auf vier Bereiche. Sie will die Jugendgarantie verstärken und die Systeme im Bereich der beruflichen Aus- und Weiterbildung modernisieren, um sie in Zeiten der Digitalisierung und des ökologischen Wandels flexibel nutzen zu können.
JugendgarantieDie Jugendgarantie ist die Zusage aller EU-Mitgliedstaaten, zu gewährleisten, dass alle jungen Menschen unter 25 Jahren innerhalb von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos geworden sind oder ihre Ausbildung abgeschlossen haben, ein hochwertiges Angebot für eine Beschäftigung, eine Weiterbildungsmaßnahme, eine Lehrstelle, einen Ausbildungsplatz oder ein Praktikum erhalten.
Quelle: EU-Kommission
Bildungsanbieter sollen Zentren beruflicher Exzellenz entwickeln und "Vielfalt und Inklusivität" fördern. Im Bereich Berufsausbildung soll das Ausbildungsplatzangebot auch in Zeiten der Corona-Pandemie aufrechterhalten werden. Weitere Maßnahmen: kurzfristige Beschäftigungs- und Existenzgründungsanreize und mittelfristiger Aufbau von Kapazitäten, Schaffung von Netzwerken junger Unternehmer und unternehmensübergreifender Ausbildungszentren.
Schwerpunkte Weiterbildung und Umschulung
Die Europäische Kompetenzagenda hat die Schwerpunkte Weiterbildung und Umschulung. "Diese legt ehrgeizige und quantitative Ziele für die Weiterbildung (Verbesserung bestehender Kompetenzen) und Umschulung (Erwerb neuer Kompetenzen) fest, die in den nächsten fünf Jahren erreicht werden sollen", so die Kommission. Mit zwölf Maßnahmen will sie "arbeitsplatzrelevante Kompetenzen in den Mittelpunkt" stellen.
Die Kompetenzagenda enthält 12 Leitaktionen1. Pakt für Kompetenzen
Mobilisierung aller Partner für mehr und bessere Bildungsmöglichkeiten und von öffentlichen und privaten Investitionen in die industriellen und Kompetenzökosysteme.
2. Verbesserte Erkenntnisse über Kompetenzen
Um die richtigen Kompetenzen für einen Arbeitsplatz zu erwerben, will die Kommission ein Onlineangebot an Echtzeitinformationen über den Qualifikationsbedarf auf regionaler und sektoraler Ebene auf Grundlage einer Big-Data-Analyse von Stellenangeboten verfügbar machen.
3. EU-Förderung von nationalen Weiterbildungsstrategien
Die EU-Kommission will mit den Mitgliedstaaten an modernen und umfassenden nationalen Kompetenzstrategien afrbeiten und die nationalen öffentlichen Arbeitsverwaltungen bei deren Umsetzung unterstützen . Dies könne mit einem strategischeren Ansatz für legale Zuwanderung einhergehen, der Fachkräfte besser anspricht und hält.
4. Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur beruflichen Aus- und Weiterbildung für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Resilienz
Ein neuer Ansatz, die berufliche Aus- und Weiterbildung moderner und attraktiver für alle Lernenden, flexibler und geeigneter für die Vorbereitung auf das digitale Zeitalter und den ökologischen Wandel zu gestalten. Erfahren Sie mehr zur Empfehlung für berufliche Aus- und Weiterbildung.
5. Umsetzung der Initiative "Europäische Hochschulen" und Weiterbildung von Wissenschaftlern
Aufbau langfristiger transnationaler Allianzen zwischen den Einrichtungen der höheren Bildung in ganz Europa und Entwicklung eines Sets an Kernkompetenzen für Forschungskräfte.
6. Kompetenzen zur Unterstützung des ökologischen und des digitalen Wandels
Entwicklung eines Kernprofils grüner Kompetenzen, statistische Überwachung der Ökologisierung unserer Arbeitsplätze, Förderung digitaler Kompetenzen im Rahmen eines Aktionsplans für digitale Bildung und durch IKT-Jump-Start-Schulungen.
7. Erhöhung der Zahl der Absolventen in MINT-Fächern und Förderung von unternehmerischen und Querschnittskompetenzen
Die Kommission wirbt bei jungen Menschen, vor allem Frauen, für MINT-Fächer. Außerdem will sie die Unterstützung für Unternehmer sowie den Erwerb von Querschnittskompetenzen wie Teamarbeit und kritisches Denken stärken.
8. Kompetenzen für das Leben
Abgesehen vom Arbeitsmarkt unterstützen die Kommission die Erwachsenenbildung für alle – junge Menschen wie Erwachsene – zu Themen wie Medienkompetenz, Bürgerkompetenzen sowie Finanz- Umwelt- und Gesundheitskompetenz.
9. Initiative zu individuellen Lernkonten
Die Kommission will erkunden, ob und wie übertragbare und qualitätsgeprüfte Fortbildungsansprüche dabei helfen könnten, das lebenslange Lernen für alle zu fördern.
10. Ein europäischer Ansatz für Micro-Credentials
Bildungskurse werden kürzer und zielgerichteter und finden oftmals online statt. Dabei sollen europäische Standards helfen, die Ergebnisse solcher Kurse anerkennen zu lassen.
11. Die neue Europass-Plattform
Die Europass-Plattform wurde umgebaut. Sie beitet nun in 29 Sprachen Online-Tools und Anleitungen zum Erstellen von Lebensläufen, schlägt maßgeschneiderte Stellenangebote und Weiterbildungsmöglichkeiten vor und informiert Arbeitssuchende.
12. Mobilisierung von Investitionen der Mitgliedstaaten und privaten Akteure in Kompetenzen
Ein Schlüsselelement der Kompetenzagenda ist der aufgestockte EU-Haushalt, sodass die Mitgliedstaaten und privaten Akteure zu Investitionen in Kompetenzen angeregt werden. Die Kommission will die Transparenz rund um die Investitionen in Kompetenzen zu verbessern und neuartige Finanzierungsmechanismen wie Sozialanleihen zu sondieren, um Investitionen zu fördern.
Quelle: EU-Kommission
Die einzelnen Nationalstaaten, Unternehmen und die Sozialpartner sollen zusammenarbeiten, um dafür zu sorgen, dass möglichst viele Menschen "an Programmen des lebenslangen Lernens" teilnehmen können. Die Kommission erhofft sich, damit den Aufschwung nach der Corona-Pandemie zu beschleunigen. Dazu bräuchten Arbeitskräfte und die bräuchten neue oder verbesserte Kompetenzen.
Arbeitsmarktrelevanz in den Mittelpunkt rücken
Herzstück des Maßnahmenpakets ist ein Vorschlag zu einer Ratsempfehlung zur beruflichen Aus- und Weiterbildung. Die Berufsbildungssysteme in den einzelnen Mitgliedstaaten sollen die Arbeitsmarktrelevanz von Qualifikationen stärker in den Mittelpunkt rücken – Digitalisierung und ökologische Nachhaltigkeit sollen auch hier maßstabgebend sein. Außerdem sollen sie flexibler werden, damit sie sich schneller an den Arbeitsmarktbedarf anpassen können, modulare Bildungswege sollen dabei eine größere Rolle spielen.
Das Lernen am Arbeitsplatz soll mehr Raum erhalten. Bis 2025 sollen konkrete Ziele erreicht werden: Der Anteil der erwerbstätigen Absolventen sollte mindestens 82 Prozent betragen. 60 Prozent der jungen Berufsbildungsabsolventen sollen die Gelegenheit zum Lernen am Arbeitsplatz erhalten. Acht Prozent der Lernenden in der Berufsbildung sollen von der Lernmobilität im Ausland profitieren.
Achtung bei der Umsetzung
Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) begrüßt den Ansatz der EU-Kommission, er unterstreiche die hohe Relevanz der beruflichen Aus- und Weiterbildung für die zukünftige ökonomische Leistungs- und Innovationsfähigkeit der EU. "Qualitativ hochwertige Berufsbildungssysteme werden als Schlüssel zur erfolgreichen digitalen und ökologischen Transformation und zur Bewältigung der negativen Auswirkungen der Corona-Pandemie angesehen."
Der Verband mahnt aber dazu, bei der Umsetzung der Maßnahmen genau darauf zu achten, dass "das erfolgreiche System der beruflichen Bildung in Deutschland nicht in eine qualitative Abwärtsspirale gerät". Besonders könne das bei der Implementierung einer digitalen europäischen Bildungsinfrastruktur passieren, befürchtet der ZDH.
Abschlüsse der höheren Berufsbildung berücksichtigen
"Gerade beim neuen Europass, in dessen Entwicklung und Governance weder die Mitgliedsstaaten noch die europäischen Sozialpartner gleichberechtigt eingebunden worden sind, ist nicht absehbar, welche strukturellen Auswirkungen diese Plattform auf nationale Bildungssysteme hat." Der ZDH hält es für möglich, dass "die im EU-Kontext oftmals nur wenig bekannten Abschlüsse" der höheren Berufsbildung" beim Europass nicht berücksichtigt werden. Die schwerpunktmäßige Betonung modularer Qualifikationen lehnt der ZDH zumindest für den Bereich der Erstausbildung ab.
Text:
Lars Otten /
handwerksblatt.de
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