Redtube: Der große Bluff
Dreiste Abmahner haben Internetkunden wegen Pornovideos unter Druck gesetzt und geraten nun selbst ins Visier der Justiz. Das Landgericht Köln stellt klar: Streaming verletzt nicht das Urheberrecht!
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Keine Angst vor Abmahnungen!
Der "Fall Redtube" erregt seit Wochen die Gemüter: Tausende von Internetnutzern erhielten ein anwaltliches Schreiben mit dem Vorwurf, sie hätten Pornofilme auf der Seite redtube.com angeschaut und dabei das Urheberrecht der Firma The Archive AG verletzt.
Jetzt ist klar: Die Abmahnungen waren unberechtigt, wahrscheinlich sogar rechtswidrig und die ganze Sache eine große Luftnummer. Inzwischen ermitteln die Staatsanwälte, aber nicht gegen die User, sondern gegen die Absender der Schreiben!
Einige Kammern des Landgerichts Köln hatten im Dezember Beschlüsse erlassen, mit denen The Archive AG mittels der IP-Adressen von der Deutschen Telekom die Namen und Anschriften ihrer Kunden herausverlangen konnte. Diese Nutzer wurden dann im Namen der The Archive AG von der Kanzlei Urmann + Collegen abgemahnt.
Nutzerdaten zu Unrecht herausgegeben
Das hätte nicht passieren dürfen, sagt das Gericht in einer Pressemitteilung. Denn Streaming verstößt nach der jetzigen, geänderten Auffassung des Kölner Landgerichts nicht gegen das Urheberrecht. Damit gestanden die Richter ein, dass sie in diesen Fällen Fehler gemacht hatten. Und räumten diese auch wieder aus, indem sie den Beschwerden der Kunden gegen die Abmahnungen stattgaben.
Es dreht sich hier um sogenanntes Video-Streaming: Der Internetnutzer schaut sich einen Film online an. Dabei wird – anders als beim Download – die jeweilige Datei nicht auf seine Festplatte herunter geladen, sondern nur vorübergehend im Cache seines Internetbrowsers zwischengespeichert.
Anträge waren irreführend
"Die Kammer neigt insoweit der Auffassung zu, dass ein bloßes Streaming einer Video-Datei grundsätzlich noch keinen relevanten rechtswidrigen Verstoß im Sinne des Urheberrechts, insbesondere keine unerlaubte Vervielfältigung im Sinne des § 16 Urhebergesetz darstellt, wobei diese Frage bislang noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt ist. Eine solche Handlung dürfte vielmehr bei nur vorübergehender Speicherung aufgrund einer nicht offensichtlich rechtswidrig hergestellten bzw. öffentlich zugänglich gemachten Vorlage regelmäßig durch die Vorschrift des § 44 a Nr. 2 Urhebergesetz gedeckt sein", erklärte das Gericht in seiner Pressemitteilung.
Die Richter begründen die Korrektur ihrer ursprünglichen Entscheidung damit, dass im Antrag der The Archive AG von Downloads die Rede war, während es sich tatsächlich – wie sich später herausstellte – um den Abruf von Videos auf einer Streaming-Plattform handelte. Mit anderen Worten: Die Antragsteller haben das Gericht bewusst hinters Licht geführt!
Auch die Bundesregierung sah sich genötigt, auf die Abmahnwelle zu reagieren: Sie hält das Anschauen von Video-Streams ebenfalls für zulässig. Das erklärte das Bundesjustizministerium als Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag.
Täglich neue Beschwerden
Die Betroffenen und viele Kritiker des Verfahrens haben das schon immer behauptet. Von Anfang an gab es viel Widerstand gegen die Vorgehensweise der Kanzlei Urmann. 110 Beschwerden waren allein bis Ende Januar beim Kölner Landgericht eingegangen. Das Landgericht Hamburg hat mit einer einstweiligen Verfügung weitere Redtube-Abmahnungen sogar verboten, die entscheidende Frage nach der Rechtmäßigkeit von Streamings dabei aber offen gelassen.
Für die Abmahner und ihre Anwälte wird das Geschäftsmodell nun sogar zum Bumerang: Da völlig unklar ist, wie ihre Software die IP-Adressen der Nutzer ermittelt hat, steht nun der Verdacht im Raum, dass dies rechtswidrig passierte. Sie hatten dem Gericht zwar ein Gutachten eingereicht, das die Rechtmäßigkeit der Adressermittlung belegen sollte. Aber das Papier sagt darüber gar nichts aus.
Im Visier der Staatsanwälte: Nötigung?
Jetzt sind die Antragsteller selbst ins Visier der Staatsanwaltschaften geraten: In Köln und Berlin geht man derzeit der Frage nach, ob sie das Gericht belogen und falsche eidesstattliche Versicherungen abgegeben haben.
In Hamburg und in Regensburg wird untersucht, ob ein betrügerisches Verhalten des Anwalts Urmann vorliegt und er Abmahnungen ohne Rechtsgrund verschickte. Mit dem Verdacht auf Erpressung und Betrug begründen viele Anwaltskollegen ihre Strafanzeigen gegen ihn. Interessant ist vor diesem Hintergrund ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das vor kurzem einen Rechtsanwalt wegen Nötigung bestrafte, weil er unberechtigte Inkassoschreiben verschickte.
Die Firma The Archive verwischt derweil ihre Spuren: Websites sind abgeschaltet, Adressen falsch, der Firmensitz umgezogen. Der gute Rat an alle Abgemahnten: "Zahlen Sie auf keinen Fall den verlangten Betrag und geben Sie keine Unterlassungserklärung ab", meint Rechtsanwalt Matthias Herold aus Köln.
Download und Streaming
Rein rechtlich besteht zwischen dem Download und Streaming eines Films ein großer Unterschied:
Download: Beim Download wird eine Datei aus dem Internet heruntergeladen und auf die Festplatte des PCs gespeichert. Damit ist eine Film-Kopie in den Besitz des Anwenders übergegangen.
Streaming: Beim Streaming wird eine Kopie der Datei nur kurzzeitig – für die Zeit des Ansehens – im flüchtigen Zwischenspeicher (RAM) abgelegt. Die Datei wird nicht auf der Festplatte gespeichert. Nach dem Abspielen ist der Film nicht mehr auf dem eigenen PC verfügbar.
Das Landgericht Hamburg hat mit einer einstweiligen Verfügung weitere Redtube-Abmahungen verboten, die entscheidende Frage nach der Rechtmäßgkeit aber offen gelassen.
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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