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Eiskalte Schönheit

Panorama - Reise

Alaska ist das Land der Gletscher, der Bären und der Kupferminen. Die lassen sich am besten mit einem Kleinflugzeug bewundern.

"Wir streiten uns immer drum, wer sie fliegen darf." Liebevoll klopft Bob auf das Blech seiner "De Havilland Biber" aus dem Jahr 1949, so als würde er seinen Lieblingshund loben. Das knallig gelb-rote einmotorige Flugzeug bringt uns zurück aus der Abgeschiedenheit einer Siedlung namens McCarthy mitten im Nationalpark der  Wrangell Mountains "in die Zivilisation", wie Bob spöttisch sagt. Es ist Anfang September, Spätherbst in Alaska. Die Wolken hängen dicht über dem Tal in den Bäumen fest.  Die Feuchtigkeit lässt die Farben der Bäume und des Marschlandes intensiv glänzen. Jeden Moment könnte der Dunst dichter werden, so scheint es. Doch "don’t worry", sagt Bob, "keine Sorge, wir können fliegen". Seine Fluggesellschaft hat vier Webcams in den Bergen installiert. Sie zeigen: Das Wetter hält.

Verlassene Gebiete

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Doch was heißt schon Fluggesellschaft. Das "Terminal" ist nichts weiter als eine kaum fünf  Quadratmeter große Holzhütte am Rand einer Piste, die einem notdürftig eingeebneten Acker gleicht. Die Ballonreifen der neunzylindrigen Maschine sind nur halb aufgepumpt, um Hindernisse leicht überwinden zu können, erklärt Bob, als wir über die Startbahn rollen und abheben. Unter uns sehen wir die wenigen Hütten McCarthys. Hier vergnügten sich bis in die 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts die Arbeiter der Kupfermine in Kennicott, die sich 20 Kilometer entfernt über drei Jahrzehnte durch den Berg gruben. Aus der Luft ist das ganze Ausmaß der Minengebäude zu sehen, die man nach der Ausbeutung sich selbst überlassen hat. Verrottete Gerätschaften, zerstörte Bahngleise, Autogerippe, übereinander gestürzte Balken von Wohnhäusern - alles wirkt bis heute so, als  hätten die Arbeiter und ihre Vorgesetzten den Ort Hals über Kopf verlassen.

Dull Sheeps

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Vom Pilotensitz aus zeigt Bob auf den Roots-Gletscher direkt bei Kennicott, auf dessen riesigen Eismassen wir am Tag zuvor noch gewandert sind. Im Hintergrund verschwimmen die Konturen des Mount Blackburn im Dunst. Kaum auszumachen sind die weißen Punkt an den Hängen der braunen Berge, auf die Bob deutet: "dull sheeps", sagt er, die Schnee-Schafe Alaskas. Über die Reste der Eisenbahnlinie hinweg, mit der das Kupfer über waghalsige Brückenbauwerke nach Cordoba an der Pazifikküste transportiert wurde, erreichen wir Chitina. Am Schmelzwasser des Chitina-Rivers entlang nehmen wir  Kurs auf die Kies-Landebahn. Jetzt verstehen wir den spöttischen Ton in Bobs Stimme. Die Zivilisation: das sind drei abgewrackte oder stark reparaturbedüftige Kleinflugzeuge und ein Schotterweg, der zu einigen verstreuten Häusern führt. Ein Mann im Overall schraubt an einem der gelben Flieger neben einem Pick-Up, dessen Rost schwere Zweifel an seiner Fahrtüchtigkeit weckt.

Unterwegs mit der Cessna

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Drei Tage später, nach knapp 800 Kilometern Fahrt durch die Traumlandschaften des 49. US-Bundesstaates am Glenn-Highway und dem Sterling-Highway entlang, drängen wir uns wieder in eine einmotorige Maschine, diesmal eine Cessna 206. Durchgesessene Sitze, verschrammte und schlecht schließende Türen verursachen uns ein mulmiges Gefühl. Erneut hängt feuchte Luft über dem Flugplatz, diesmal im Küstenort Homer an der Kachemak-Bay. Fliegen in Alaska ist ein Kampf mit dem Wetter. Jaimie, der 33 Jahre alte Pilot aus dem US-Staat Maine, will unser Vertrauen wecken und zeigt uns seine Ausrüstung im Notfallrucksack: warme Socken, eine Regenhaut, Feuerwerk, um Suchflugzeuge auf uns aufmerksam zu machen, und eine Schaufel, um den Flieger notfalls frei zu graben. Als wir aufsteigen, hat die Sonne bereits nach und nach die Wolken vertrieben. Nur noch in Fetzen kleben sie an den Berghängen.

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Braunbären hautnah

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Der Flug führt in den Katmai-Nationalpark zur Chninta Bay auf die gegenüberliegende Seite des Cook-Inlet, des nach Thomas Cook benannten Fjords.  Und wir haben Glück: Schon beim Anflug auf die im Gegenlicht glitzernde Bucht sehen wir unser Ziel, wenn auch vorerst nur als winzige Punkte im Watt: die Braunbären. Sechs erwachsene Bären sind mit ihrem Nachwuchs aus den Bergen gekommen, um bei Ebbe im Wasser des Pazifik nach Nahrung zu suchen. Ohne Wackler landet Jaimie am Strand, der nur bei Niedrigwasser breit genug für dieses Manöver ist, und parkt die Cessna neben zwei weiteren Kleinfliegern. In Stulpenstiefeln, die bis an die Hüfte reichen, marschieren wir den Bären entgegen. "Immer hintereinander", weist uns Jaimie an, "damit die Bären uns nicht als Bedrohung wahrnehmen". Doch wenn sie uns überhaupt sehen, als wir, nur 200 Meter von ihnen entfernt, im Wasser niederknien, dann lassen sie es sich nicht anmerken: Sie graben nach Nahrung, fast schlendernd kommen sie bis auf 100, vielleicht 80 Meter näher,  jagen sich gegenseitig durch das flache Wasser, legen sich in die Sonne, um sich zu recken. Uns bleibt das Herz stehen, doch Jaimie ist  die Ruhe selbst. Es ist nicht das erste Mal, dass er den Bären so nahe kommt, "und solange die Tiere sich nicht gestört fühlen, besteht keine Gefahr", sagt er.  Beinahe zwei Stunde dauert das Spektakel, dann hebt Jaimie ab und umkreist, sozusagen als Sahnehäubchen eines unvergesslichen Vormittags, die rund 300 Meter hohen Vulkan-Gipfel des Iliamna und des Mount Redoubt.

Der große Berg

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Der spektakulärste Berg Alaskas aber, der höchste Nordamerikas, der Denali, der "Große", wie ihn die athabaskischen Ureinwohner tauften – ihn wollen wir einige Tage später mit einem Flieger umkreisen. Selbst vom mehr als 300 Kilometer entfernten Anchorage ist der 6194 Meter hohe Mount McKinley, wie er offiziell heißt, an klaren Tagen in seinen Umrissen zu erkennen. In Talkeetna, drei Stunden Autofahrt nördlich von Anchorage, ist der Himmel beinahe wolkenlos und ruhig: bestes Fliegerwetter. Wir schöpfen Hoffnung, mit der "De Havilland Otter" vielleicht sogar auf einem Gletscher des Berges landen zu können. Das halbe Dutzend Passagiere ist angeschnallt, der Pilot hat den Motor angeworfen und holt letzte Informationen ein. Dann zuckt er mit den Schultern, stellt die Zündung ab. "Nichts zu machen heute", sagt er. Wie so oft  hat sich das Wetter am Denali innerhalb kürzester Frist verschlechtert. Ein Start wäre viel zu riskant, wir bekommen unser Geld zurück. Ein Grund mehr, Alaska von oben wiedersehen zu wollen.
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Text: / handwerksblatt.de

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