Hohe Abbrecherquoten an den Hochschulen – und keinen interessiert's!
Kommentar von Dr. Axel Fuhrmann: Die Abbrecherquoten an deutschen Hochschulen sind hoch – volkswirtschaftlich betrachtet eine Ressourcenverschwendung, bildungspolitisch eine Fehlsteuerung und für die Betroffenen eine Zeitvergeudung.
Zu Beginn des Wintersemesters 2019/2020 begannen 508.689 junge Männer und Frauen erstmals ein Studium an einer deutschen Hochschule. Zum dritten Mal in Folge lag die Zahl damit über der 500.000er-Marke. Das ist Fakt. Fakt ist aber auch, dass rund 150.000 dieser Erstsemester niemals das Ziel ihrer Wünsche – den erfolgreichen Erwerb des Bachelor-Zeugnisses – erreichen werden: Denn diese jungen Menschen brechen ihr Studium aus unterschiedlichsten Gründen noch vor dem ersten Abschluss ab. Mal sind die Anforderungen im Studium zu hoch, mal fehlt die Identifikation mit dem Studienfach, mal fehlt es an finanziellen Mitteln, um das Studium zu beenden.
Dr. Axel Fuhrmann Foto: © Wilfried MeyerWas im Einzelfall eine sinnvolle und richtige Entscheidung sein mag, ändert nichts am generellen Befund: Die Abbrecherquoten sind erschreckend hoch und keinen interessiert es! Die Hochschulen saugen jeden an, der eine Eingangsqualifikation vorweisen kann. Hauptsache, die Anmeldezahlen der Erstsemester stimmen und damit das sichere Budget der Hochschule fürs Folgejahr. Wer dann im dritten oder vierten Semester scheitert, ist selber schuld. Bildungsganginterne Gründe für die Abgänge werden gar nicht erst abgefragt. Die Politik feiert jede neue Studierende und jeden neuen Studierenden, jede neue Hochschule und jeden neuen Hochschulpakt im unerschütterlichen Glauben, dass eine hohe Akademikerquote die Zukunft Deutschlands sichert.
Aufstiegsversprechen wird zur Enttäuschung
Bei über 9.100 akkreditierten Bachelor- und über 9.500 Master-Studiengängen haben aber selbst Experten längst den Überblick verloren; und Personalverantwortliche in den Unternehmen wissen mit den häufig mit Anglizismen gespickten Titeln kaum noch etwas anzufangen. So wird das Aufstiegsversprechen eines akademischen Studiums zur beruflichen Enttäuschung des Bachelor-Absolventen, wenn er oder sie statt auf dem Chefsessel in der Sachbearbeitung eines größeren Unternehmens landet.
Aus der Studienabbruchstudie 2016 des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung geht hervor, dass 27 Prozent der Studierenden an Fachhochschulen und 32 Prozent an Universitäten ihr Studium abbrechen, wobei die Quote bei MINT-Fächer bei rund 40 Prozent liegt. Wohlgemerkt: Das sind die Zahlen vor Corona und vor drei Online-Semestern, die zahlreiche Studierende endgültig frustriert haben. In der Ausbildungsberatung der Kammern merken wir die verstärkte Nachfrage dieser Zielgruppe, die nach Wochen, Monaten oder Semestern des Zweifelns und des Selbstbetrugs zu der Erkenntnis gekommen ist: So geht es nicht mehr weiter. Eine Ausbildung erscheint als letzter Ausweg für ein erfülltes Lebens, selbst wenn die Eltern hier einen Bildungsabstieg befürchten. Fazit: Die hohen Abbrecherquoten in den Hochschulen sind volkswirtschaftlich betrachtet eine enorme Ressourcenverschwendung, bildungspolitisch eine krasse Fehlsteuerung und für die Betroffenen eine frustrierende Zeitvergeudung.
Lücken zwischen vermeintlich gleichen Abschlüssen
Was ist aber zu tun? Natürlich braucht es schnellstmöglich eine bessere und umfassendere Berufs- und Studienwahlorientierung an den Schulen unter Einbeziehung der Hochschulen und der Wirtschaft. Hier ist man zwar in NRW mit dem Projekt "Kein Abschluss ohne Anschluss" ein gutes Stück vorangekommen. Aber es gibt vor allem an den Gymnasien (und nicht nur dort) noch viel Luft nach oben. Zweitens grenzt es zudem an Autosuggestion, dass jedes allgemeine Hochschulreifezeugnis qualitativ gleichwertig sei. Zwischen den vermeintlich gleichen Schulabschlüssen an Gymnasien und Berufskollegs klaffen enorme Lücken in der Qualität des Wissens und Lernens. Wer Elektrotechnik studieren will und keinen Physik- und Matheleistungskurs an einem Gymnasium (oder einer Gesamtschule) besucht hat, kann in der Regel einpacken. Und zwar nach spätestens zwei Semestern. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Und drittens: Aus meiner Sicht wäre die beste Vorsorge gegen Studienabbruch insbesondere an Fachhochschulen die verpflichtende Absolvierung einer vorgeschalteten Ausbildung im später gewählten Studiengang. Wer zunächst eine Metallbauerlehre absolviert, um danach ein Maschinenbaustudium zu beginnen, weiß in weiten Teilen, was auf ihn oder sie zukommt. Viele Berufsschulfächer finden sich später in der Hochschule wieder. Die in der Ausbildung gesammelten Berufs- und Lebenserfahrungen und würden sich so im Studium als Bildungsdividende auszahlen. Die Schweiz hat mit der Berufsmatura (Berufsabitur parallel zur Ausbildung) als Voraussetzung für ein Studium an den Fachhochschulen bewiesen, dass eine Steuerung der Bildungswege sinnvoll und zielführend sein kann. Ich würde mir wünschen, unsere Politiker würden diesen Mut ebenfalls aufbringen. Zum Vorteil der Studierenden, der Hochschulen, der eingesetzten finanziellen Ressourcen und der beruflichen Bildung.
Der Autor ist Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Düsseldorf
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Text:
Dr. Axel Fuhrmann /
handwerksblatt.de
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