Mit Erasmus+ unterwegs durch Europa
Ein Jahr – sechs Länder. Nach der Gesellenprüfung wollte Hannah Höppke möglichst viel sehen und lernen. Mithilfe von Erasmus+ hat sie sich auf die Reise gemacht.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Berufserfahrung im Ausland sammeln
Ein ganzes Jahr zwischen zwei gelben Pappdeckeln – das konnte nicht klappen. Eigentlich wollte Hannah Höppke alle Unterlagen ihrer Tour durch sechs europäische Länder in einem Ordner sammeln. Doch schon zur Halbzeit muss die 28-jährige Konditorin umdenken. "Da ich den Ordner im Ausland immer dabei haben möchte, er wegen der vielen Papiere aber immer schwerer und unhandlicher geworden ist, hefte ich nun alles für die kommenden Aufenthalte in einer grauen Mappe ab."
Gelb sind bislang Frankreich, Spanien und Österreich. Mitte Februar ist Finnland dazugekommen. "Ich wollte schon immer mal beruflich ins Ausland gehen. Außerdem hatte ich das Gefühl, während meiner Ausbildung nicht genug gelernt zu haben", begründet Hannah Höppke ihre Entscheidung, das heimische Rheinland zu verlassen. Dabei profitiert sie davon, dass die EU auch Gesellen bis zu einem Jahr nach ihrer Prüfung grenzüberschreitende Praxiserfahrungen sponsort.
Mobilitätsberaterin hilft beim Planen
Als Tourmanagerin steht ihr Rebecca Hof zur Seite. Sie ist Mobilitätsberaterin bei der Handwerkskammer Düsseldorf. "Ich habe ihr meine Wunschländer genannt, ihr für die Bewerbungen den Europass-Lebenslauf sowie ein Anschreiben auf Deutsch und Englisch geschickt und mich dann überraschen lassen, welche Städte und Praktikumsbetriebe sie mir vorschlägt", erklärt Hannah Höppke.
Zudem hilft Rebecca Hof ihr bei allen Fragen rund um Erasmus+ weiter. Mit dem EU-Bildungsprogramm lassen sich die Kosten der Auslandsaufenthalte größtenteils abdecken. Für den Rest muss Hannah Höppke selbst aufkommen. "Mir war von Anfang an klar, dass die Betriebe nichts für das Praktikum zahlen." Um sich in der freien Zeit etwas gönnen und finanzielle Engpässe überbrücken zu können, hat sie deshalb ihr Erspartes eingesetzt. "Dieser Puffer von 1.000 Euro ist sehr wichtig."
Die handwerklichen Feinheiten sind spannend
Fachlich hat Hannah Höppke noch nichts revolutionär Neues im Gepäck. Spannend sind für sie jedoch die Feinheiten. Bei La Grange à Pain in Poitiers konnte die Konditorin zum ersten Mal selbst Macarons machen. "In der Berufsschule hat man uns beigebracht: Teigmasse herstellen, auf die Bleche verteilen und zum Trocknen stehenlassen. Die Franzosen gehen es anders an."
Beeindruckt war sie auch von der Arbeitsorganisation in der winzigen Backstube. "Die Abläufe waren zwischen dem Chef, dem Gesellen und den drei Auszubildenden so gut aufeinander abgestimmt, dass man fast auf die Minute genau sagen konnte, wer was als nächstes macht." Dass sich das eingespielte Team fast wortlos versteht, kam ihr entgegen. "Von meinem Französisch aus der Realschule ist nicht viel hängengeblieben, aber ich konnte mich gut mit meinem Chef und einem Azubi sowie einer Mitarbeiterin der nahe gelegenen Handwerkskammer auf Englisch verständigen."
Das Kontrastprogramm bei der Kurkonditorei Oberlaa in Wien: "Der Betrieb ist so groß, dass die Produktion in einzelne Posten für Teig, Böden, Sahne oder Dekor aufgeteilt ist", erklärt Hannah Höppke. Jede Woche habe sie die Station gewechselt, vor allem am Dekorposten viel gelernt. Dass Zucker gegossen, gezogen oder geblasen werden kann, kannte sie bis dahin nur aus dem Lehrbuch. "Ausprobieren durfte ich es leider nicht, aber ich habe zumindest gesehen, wie es funktioniert." Sehr positiv ist ihr das menschliche Miteinander in Erinnerung geblieben. "Obwohl es in der Vorweihnachtszeit sehr stressig und anstrengend in der Konditorei ist, waren alle Leute trotzdem nett zueinander", schwärmt sie.
Viel gesehen, viel gelernt
Bis Ende März ist Hannah Höppke in Tuusula (Finnland). Danach hätten noch Großbritannien und Italien auf dem Reiseplan gestanden. Doch nun ist doch schon nach vier Ländern Schluss – wegen finanzieller Gründe und dem hohen verwaltungstechnischen Aufwand. "Ich habe viel gesehen und gelernt. Was will ich also mehr? Reisen ist halt doch nur was für reiche Kids, aber ich bin weit gekommen und die Welt steht mir immer noch offen", lautet ihr Fazit.
Aber so ganz zu Ende ist das Kapitel Auslandsaufenthalt nicht. Wenn alles gut läuft, ist sie im Herbst schon wieder weg. "Beim Abschlussgespräch habe ich den Backstubenleiter der Kurkonditorei Oberlaa gefragt, ob etwas dagegen spricht, dass ich für ein bis drei Jahre aus Wien arbeite." Gibt er sein Okay, muss wohl ein neuer Ordner her.
Vita
So bunt wie die Reiseroute ist auch der Lebenslauf von Hannah Höppke. Nach ihrem Realschulabschluss in Bedburg wollte sie etwas Kreatives machen und ist Bauzeichnerin geworden. In diesem Beruf hat sie zwei Jahre lang gearbeitet, währenddessen aber auch an der Abendschule die Fachhochschulreife nachgeholt. Architektur wäre ein naheliegender Studiengang gewesen. Entschieden hat sie sich für Bauingenieurwesen – "weil man da richtig viel Geld verdienen kann". Nach anderthalb Jahren an der FH Aachen ist sie ausgestiegen. "Ich mag Mathe zwar ganz gerne, aber die haben Höhere Mathematik verlangt. Und Geld alleine macht eben auch nicht glücklich." Da sie schon immer gerne gebacken und Torten aufwendig verziert hat, fiel ihre Wahl schließlich auf eine Ausbildung zur Konditorin. Ihre verkürzte Lehre hat sie im Sommer 2017 beendet.
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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