Tariftreue bei öffentlichen Aufträgen gekippt
Der Staat darf nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht an die Zahlung tariflicher Löhne binden. Nun haben acht Bundesländer die Tariftreue-Klauseln in ihren Vergabegesetzen gekippt. Das deutsche Bau-Handwerk ist nicht begeistert.
Öffentliche Auftraggeber können bei Vergabeverfahren von den Auftragnehmern also in der Regel keine Tariftreue mehr verlangen. Mit der Entscheidung stellen die Richter klar, dass das Vergaberecht nicht dazu dient, allgemeine politische Ziele wie zum Beispiel die Verhinderung von Lohn-Dumping durchzusetzen, resümiert Rechtsanwältin Aline Fritz von FPS Fritze Paul Seelig in Frankfurt: "Das Urteil dürfte die gesamte bisherige Praxis in Deutschland auf den Kopf stellen – und Auswirkungen auf die Reform des Vergaberechts haben."
Das deutsche Bauhandwerk ist von dem Urteil nicht begeistert. "Damit werden die Betriebe bestraft, die ihre Mitarbeiter ordentlich bezahlen", kritisierte Ilona Klein, Sprecherin des Zentralverbandes des deutschen Baugewerbes. Der Verband hoffe allerdings, dass die Bundesländer, die nun ihre Tariftreue-Klauseln gekippt hätten, bei der Vergabe ihrer Aufträge künftig genauer prüfen, ob die Mindestlohn-Regelungen eingehalten werden.
Acht Bundesländer kippen ihre Tariftreue-Klauseln
Auslöser der Entscheidung ist das niedersächsische Landesvergabegesetz. Danach dürfen Aufträge für Bauleistungen nur an solche Unternehmen vergeben werden, die sich schriftlich verpflichten, ihren Arbeitnehmern mindestens das tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu zahlen. Diese Pflicht müssen Auftragnehmer auch ihren Nachunternehmern auferlegen. Wer sich nicht daran hält, muss eine Vertragsstrafe zahlen. Über eine solche sollte das Oberlandesgericht Celle entscheiden. Es hatte jedoch Bedenken und legte dem EuGH die Frage vor, ob der freie Dienstleistungsverkehr einer gesetzlichen Verpflichtung des Zuschlagsempfängers eines öffentlichen Bauauftrages, seinen Arbeitnehmern mindestens das tarifvertraglich vorgesehene Entgelt zu zahlen, entgegensteht.
Nach dem Urteil des EuGH (3.04.08, C-346/06) haben nun laut Handelsblatt Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, das Saarland und Schleswig-Holstein die Tariftreue-Klauseln ihn ihren Vergabegesetzen gekippt. Das waren alle Bundesländer, in denen von den Gewerkschaften erkämpften Tariftreue-Klauseln galten.
"Alle Vergabeverfahren gehören jetzt auf den Prüfstand"
Die EuGH-Entscheidung betrifft Auftragsvergaben sowohl oberhalb als auch unterhalb der für Vergaben relevanten Schwellenwerte. Die Konsequenz: Tariftreue darf in Verbindung mit der Vergabe eines öffentlichen Auftrages ab sofort nur noch dann verlangt werden, wenn der entsprechende Tarifvertrag durch die Entsenderichtlinie für allgemein verbindlich erklärt worden ist. Das heißt: Er muss in der jeweiligen Region von allen Auftraggebern eingehalten werden – egal, ob es sich um öffentliche oder private Bauaufträge handelt.
"Die Feststellungen des EuGH dürften erst recht gelten, wenn es in einem Bundesland überhaupt kein Tariftreuegesetz gibt, sondern lediglich verwaltungsinterne Vorschriften vergleichbare Reglungen vorsehen, wie es etwa bei Unterschwellenvergaben oft vorkommt", betont Fritz. "Im Prinzip gehören jetzt alle Vergabeverfahren, in denen Tariftreue verlangt wird, auf den Prüfstand."
Text:
Anne Kieserling /
handwerksblatt.de
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