Ralf W. Barkey, hier bei einer Pressekonferenz in Frankfurt, kennt das Handwerk aus dem effeff. Der Vorstandsvorsitzende des Genossenschaftsverbandes - Verband der Regionen arbeitete nach seinem Jurastudium beim Westdeutschen Handwerkskammertag und war langjähriger Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Aachen. (Foto: © Stefan Krutsch Photographie)

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Ralf W. Barkey im Interview: "Nachhaltig am Markt"

Deutschland hat eine lebendige Genossenschaftskultur. Auch für die Unternehmensübernahme durch Mitarbeiter ist das ein interessantes Modell, findet Verbandschef Ralf W. Barkey.

"Es gibt in Deutschland keinen Lebens- und keinen Wirtschaftsbereich, in dem wir nicht genossenschaftliche Rechtsformen haben. Das macht die Buntheit und Vielfalt der Genossenschaftskultur in Deutschland aus", erklärt uns Ralf W. Barkey. Im Handwerksblatt erläutert der Jurist mit Vergangenheit im Handwerk die Vorzüge der – manchmal unterschätzten – Unternehmensform. So sieht er Aufklärungsbedarf bei den Beratern in Kommunen und bei den Handwerkskammern, mit denen er ein Pilotprojekt starten möchte. Denn: Wer eine Genossenschaft gründen will, kommt am Genossenschaftsverband nicht vorbei.  

Handwerksblatt: Herr Barkey, in diesem Jahr wird der 200. Geburtstag des Gründers des Genossenschaftswesens Friedrich-Wilhelm Raiffeisen gefeiert. Hat Ihnen das Raiffeisen-Jahr mehr Zulauf gebracht?
Barkey: Wenn Sie so wollen, sind wir in einer ganzen Serie von Feierjahren. Das hat 2012 begonnen, als der damalige UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon das internationale Jahr der Genossenschaften ausgerufen hat. Ende 2016 hatten wir die Erklärung des Genossenschaftsgedankens zum ersten immateriellen Weltkulturerbe, das aus Deutschland vorgeschlagen worden ist, und jetzt eben das Raiffeisen-Jahr. So hatten wir in den letzten Jahren einen kontinuierlichen Zulauf. Aktuell zählen die Genossenschaften in Deutschland 23 Millionen Mitglieder. Mitursächlich für dieses Wachstum ist sicherlich auch die Finanzkrise, die vor zehn Jahren mit der Lehmann-Pleite begann. Allein in den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Genossenschaftsmitglieder bei den Volks- und Raiffeisenbanken um zwei Millionen gewachsen. 

Handwerksblatt: Verzeichnen Sie auch einen  Gründungsboom?
Barkey: Wir haben heute zahlreiche Gründungen auch in Feldern, in denen es vor drei, vier oder fünf Jahren noch gar keine Genossenschaften gab. Da sind wir wieder bei Friedrich Wilhelm Raiffeisen, der aus gewissen Notsituationen heraus die Genossenschaftsidee begründet hat. Auch heute gibt es gesellschaftliche und wirtschaftliche Problemfelder, etwa die Ärzteversorgung auf dem Land oder die finanzielle Knappheit der Kommunen. Originäre Einrichtungen der Daseinsvorsorge werden geschlossen oder können in Genossenschaften überführt werden. Wir haben inzwischen Kindergärten, Schulen, Schwimmbäder und sogar eine Eishalle, die in genossenschaftlicher Rechtsform betrieben werden. Das Raiffeisenjahr war insofern gut dafür, er Öffentlichkeit zu zeigen, dass man vom Aufstehen bis zum Zubettgehen genossenschaftlichen Dienstleistungen und Produkten begegnet. Oftmals ohne es zu wissen. Denken Sie an Edeka und Rewe oder die Datev. Wer weiß, dass das Genossenschaften sind? Von einem Gründungsboom würde ich nicht sprechen, denn für eine Genossenschaftsgründung braucht es Eigenverantwortung, Initiatoren und Moderatoren. Eine Genossenschaft ist keine Versorgungsleistung, die man abrufen kann. Man muss selbst aktiv werden. Dann sind Genossenschaften aber auch nachhaltig am Markt. Bis heute hat mir kein Mensch nachgewiesen, dass es europa- oder sogar weltweit eine Rechtsform gibt, die eine geringere Insolvenzquote hat. Die Quote liegt bei 0,4 Prozent. 

Handwerksblatt: Also kein Gründungsboom, aber bilanziell ein Plus?
Barkey: Und zwar jährlich. Gerade in den letzten zehn Jahren kamen die ersten Energiegenossenschaften auf, das hat einen ordentlichen Trieb nach oben gegeben. Wir haben über 300 Energiegenossenschaften in unserem Verbandsgebiet, das über 14 Bundesländer geht. Da ist richtig Musik drin. 

Handwerksblatt: Welche Rolle spielt das Handwerk im Genossenschaftswesen? 
Barkey: Wir haben drei große Blöcke in der genossenschaftlichen Familie. Der Bankenbereich, die Landwirtschaft und der gewerbliche Sektor – da bilden wir von der Schülergenossenschaft bis zur Apothekergenossenschaft die gesamte Bandbreite des Wirtschaftslebens ab. Darunter haben wir auch eine Fülle von Handwerksgenossenschaften. In den neuen Ländern gibt es ganz klassische Genossenschaften von Friseuren oder Dachdeckern, die sich zu einer Genossenschaft zusammengefunden haben und unter einem Label laufen. Im Westen kennen wir eher die großen Einkaufsgenossenschaften der Maler, Fleischer, Bäcker oder Dachdecker. In unserem Verbandsgebiet gibt es aktuell 73 Handwerksgenossenschaften mit über 15.000 Mitgliedern und einem Jahresumsatz von 2,7 Milliarden Euro. Insgesamt weisen unsere Genossenschaften ein aggregiertes Umsatz-/Bilanzsummenvolumen  von rund 484 Milliarden Euro aus.

Handwerksblatt: Eine wichtige Rolle als Mittelstandsfinanzierer spielen ja die genossenschaftlich organisierten Banken ...
Barkey: Unser Kreditportfolio ist in den letzten zehn Jahren, also seit der Lehman-Pleite, um 55 Prozent gewachsen – und das vor allem im Mittelstand und bei den Selbstständigen. Unsere Banken sind in der Region verwurzelt, sie kennen die Betriebe oftmals über Generationen. Sie begleiten den Mittelstand in guten und in schlechten Zeiten. Das ist nicht unbedingt die Geschäftsphilosophie jeder Großbank. In guten Zeiten waren die Mittelständler gut für das Geschäft, in schlechten Zeiten trennt man sich. Das ist bei einer regional verwurzelten Bank schlicht und ergreifend nicht möglich. Die begleiten die Unternehmen über die gesamte Lebensphase, sie kennen die Akteure und sind dauerhafter Partner in der Finanzierung. 

Handwerksblatt: Was macht die Genossenschaftsidee heute so aktuell?'
Barkey: Die Menschen suchen zunehmend Autarkie und Selbstverantwortung. Das ist eine Antriebsfeder für völlig neue Genossenschaften wie Energie-, Ärzte- oder Breitbandgenossenschaften. Ein großes Thema für die Zukunft sind Seniorengenossenschaften. Da haben wir inzwischen eine Fülle von Prototypen. Wollen wir an der Heimtür alle Verantwortung abgeben und uns bevormunden lassen oder wollen wir das selbst gestalten? Da haben wir inzwischen eine Fülle von Prototypen. Genau wie die Kitas, die von mehreren Unternehmen zusammen gegründet werden. Bis hin zu der Frage – und da schließt sich der Kreis zum Handwerk – der Unternehmensnachfolge. Wir wissen heute, dass der Zugang in die Betriebsleitung aus der Familie heraus kontinuierlich abnimmt. Bei größeren Handwerksbetrieben scheuen einzelne junge Menschen oftmals die Verantwortung. Da würden sich Genossenschaftsmodelle anbieten.

Handwerksblatt: Die Mitarbeitergenossenschaft als Modell für die Betriebsnachfolge?
Barkey: Das ist eine urdemokratische Form, denn es verteilt Verantwortung und Lasten auf mehrere Schultern. Die Politik täte gut daran, dies ein Stück weit zu fördern. Die steuerfreie Förderung bei Mitarbeiterbeteiligung liegt bei gerade einmal 360 Euro im Jahr. Das ist für Menschen, die schon länger in einem Betrieb arbeiten, kein Anreiz. Wir fordern, dass das auf 5.000 Euro heraufgesetzt wird. So kann man in Zukunft sicherstellen, dass mehr handwerkliche Betriebe in die nächste Generation übergehen. Es würde den jungen Gesellen und Meistern zeigen, dass es attraktiv ist, in den Betrieb reinzugehen, auch wenn der Inhaber schon älter ist. Diese Eigeninitiative muss der Staat steuerlich fördern.  

Handwerksblatt: Bisher gibt es dieses Modell noch kaum, woran liegt das?
Barkey: Ich habe in meiner langjährigen Zeit als Hauptgeschäftsführer einer Handwerkskammer nicht erlebt, dass wir in die Rechtsform der Genossenschaft hinein beraten haben. Das tun übrigens auch keine kommunalen Wirtschaftsförderer. Da sehen wir Aufklärungsbedarf. Ich habe darüber auch schon mit ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke gesprochen. Wir stehen als Verband beratend und begleitend zur Verfügung, wenn das gewünscht wird. 

Handwerksblatt: Wo könnten sich interessierte Handwerker denn informieren?
Barkey: Wer eine Genossenschaft gründen will, der kommt an uns nicht vorbei. Der Gesetzgeber hat eine intensive Genossenschafts-Gründungsberatung vorgeschaltet. Nicht jeder, der zu uns kommt, gründet später eine Genossenschaft. In sechs von zehn Fällen raten wir sogar ab. Wir müssen in der Gründungsprüfung feststellen, ob die Idee wirtschaftlich tragfähig ist. Ziel ist es, wirtschaftlich nachhaltige Unternehmen zu gründen. Außerdem prüfen wir, ob der genossenschaftliche Förderzweck klar definiert ist. Dass es also keine Kapitalsammelstellen sind, sondern eine wirtschaftliche, operative Tätigkeit, mit der die Mitglieder gefördert werden. Bei einer Übernahme im Handwerk wäre dies der Erhalt des Betriebes, der Arbeitsplätze. Wir wären bereit, ein Pilotprojekt mit den Kammern aufzusetzen, wie man das in der betriebswirtschaftlichen Beratung begleiten kann.

Das Interview führten Kirsten Freund und Michael Block

Text: / handwerksblatt.de