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HWK Koblenz | Dezember 2024
Die meisten "Landesbesten" kommen von der HwK Koblenz
Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt zeichnete jahrgangsbeste Absolventen von Meister- und Fortbildungsprüfungen aus.
Handwerker sollten von allen zeit- und kraftraubenden Tätigkeiten befreit werden, damit sie sich ganz auf ihre Arbeit konzentrieren können, meint B&O-Geschäftsführer Thomas Wagner. (Foto: © rioblanco/123RF.com)
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September 2020
Zwei Herzen schlagen in der Brust von Thomas Wagner. Als langjähriger Mitarbeiter von Bilfinger fasziniert ihn der Bau. Doch auch der digitalen Welt gehört seine Leidenschaft. Beides bringt der gelernte Betriebswirt inzwischen bei der B&O Gruppe zusammen.
Bei Bilfinger ausgebildet. Bei Bilfinger gearbeitet. Nach elf Jahren in verschiedenen Funktionen wollte Thomas Wagner etwas Neues machen. "Ich habe es als extrem spannend empfunden, aus dem Umfeld eines großen Konzerns herauszutreten und zu einem eher intuitiv getriebenen Handwerksunternehmen zu wechseln", begründet der Hesse seine Entscheidung, im Frühjahr 2017 bei der B&O-Gruppe anzuheuern. Blickt man auf deren Zahlen, poppt jedoch nicht das Bild des klassischen Handwerksunternehmens auf.
Der ursprünglich aus einem bayerischen Dachdeckerbetrieb entstandene Dienstleister der Wohnungswirtschaft ist deutschlandweit an rund 30 Standorten vertreten. Laut dem Geschäftsbericht 2019 erwirtschaftete B&O fast eine halbe Milliarde Euro und beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter. "Der Kern unserer Leistungen", hebt der Geschäftsführer mehrerer B&O Gesellschaften hervor, "die wir mit 1.500 Handwerkern für die Wohnungswirtschaft erbringen, ist handwerksgetrieben." Zudem seien die einzelnen Gesellschaften bei der jeweiligen Handwerkskammer als Mitglied eingetragen. "Wir sind wohl das größte unabhängige Handwerksunternehmen in Deutschland", erklärt Thomas Wagner.
Ob Kleinstbetrieb oder Mittelständler – sie alle leiden unter dem Fachkräftemangel. Die Berufe des Bauhandwerks haben mit einem Imageproblem zu kämpfen, meint Thomas Wagner. Sollte sich dies ändern, rechnet er frühestens in zehn Jahren mit mehr neuen, "einigermaßen eingearbeiteten" Gesellen. "Bis dahin müssen wir aus dem gegebenen Input den maximalen Output generieren", formuliert es der Betriebswirt. Die Digitalisierung könne die Unternehmen dabei unterstützen. "Unsere SHK-Anlagenmechaniker sollen sich darauf konzentrieren, Heizungen zu reparieren. Dies erreichen wir, indem wir sie von zeit- und kraftraubenden Nebentätigkeiten entlasten."
Bei B&O sind alle Handwerker mit einem Smartphone, Tablet oder Laptop ausgestattet. Die Arbeitszeiten werden digital erfasst. Ist ein Auftrag ausgeführt, kann der Kunde direkt auf dem Endgerät unterschreiben. "Am Ende des Tages müssen die Monteure ihre Stundenzettel nicht mehr im Büro abgeben. Das ist ökologisch und betriebswirtschaftlich wenig sinnvoll", erklärt Thomas Wagner. Alle Termine sind im Kalender hinterlegt und können in der neuesten Version mit dem Navigationssystem im Auto gekoppelt werden. Sobald die Arbeit bei einem Kunden erledigt ist, wird der neue Termin angezeigt und der nächste Kunde benachrichtigt, wann der Monteur voraussichtlich bei ihm eintrifft.
Das Aufmaß in der Wohnungsmodernisierung wird über Tablets erstellt. B&O nutzt dazu die Vermessungssoftware "magicplan". "Die App ermöglicht eine vollständige und verlässliche Flächen- und Massenberechnung." Thomas Wagner ist mit der digitalen Anwendung sehr zufrieden. "Sie ist verlässlich und bietet den Vorteil, dass unsere Monteure nicht mehr ausrechnen müssen, wie viel Material sie benötigen." Zu den Entlastungen für die Handwerker gehört für den Geschäftsführer auch, dass sie sich künftig nicht mehr um den Einkauf und die Anlieferung der Baustoffe kümmern müssen. Für die "kleine Instandhaltung" hat das Unternehmen bereits eine Lösung gefunden. Der Lieferant kann die Fahrzeuge der Monteure nachts mit Material bestücken.
Dies sei aber nicht in jedem Falle möglich. Thomas Wagner führt dafür vor allem zwei Gründe an. Zum einen sei die Geo-Lokalisierung der Transporter noch zu ungenau. Zum anderen kämen die Lieferanten gar nicht an die Fahrzeuge heran. "Viele unserer Handwerker wohnen im Umfeld von Berlin. Damit die Autos nicht aufgebrochen werden, parken sie sie auf ihrem Privatgrundstück. Wenn dann noch der Schäferhund patrouilliert, ist die Über-Nacht-Lieferung unmöglich." Um das Material termingerecht direkt zur Baustelle liefern zu lassen, teste man derzeit die digitale Beschaffungsplattform Roobeo.
Mindestens einmal im Quartal versucht Thomas Wagner sich einen Überblick zu verschaffen, welche Start-ups der Immobilien- und Bauwirtschaft – so genannte Prop- bzw. Construction-Techs – neu auf den Markt kommen, sich dort halten und wachsen. Die Internetrecherche hilft ihm dabei, neue Dienstleister für B&O zu entdecken, aber auch frühzeitig potenzielle Konkurrenten am Horizont auszumachen.
Spannende Partner für die Materialbeschaffung sind nach seiner Einschätzung die bex technologies GmbH und die Roobeo GmbH. Software brauche man nicht mehr zu kaufen, sondern könne sie besser von einem externen Dienstleister mieten, der die jeweiligen Programme in einer Cloud im Internet hinterlegt und gegen eine Gebühr zugänglich macht. Speziell für das Handwerk biete dieses "Software as a Service"-Modell im Bereich der Auftragssteuerung etwa die openHandwerk GmbH an. "openHandwerk kooperiert mit der Deutschen Telekom und magicplan. Das dürfte als Erst-Digitalisierungspaket gerade für kleinere Handwerksbetriebe eine äußerst attraktive Lösung sein."
Digitalisierung ermöglicht effizienteres Arbeiten. Ein bisschen Ineffizienz mag mancher aber gar nicht so schlimm finden. "Für unsere Handwerker ist es natürlich eine schöne Abwechslung, wenn sie zum Großhändler fahren und dort einen Kaffee trinken können", gibt Thomas Wagner zu. Die Über-Nacht-Bestückung der Fahrzeuge oder die direkte Materialanlieferung zur Baustelle setzt dem aber ein Ende. Der SHK-Anlagenmechaniker oder der Fliesenleger kann sich damit zwar ganz auf seine Arbeit konzentrieren, doch es droht auch Monotonie. Diesen Spagat versucht der Geschäftsführer mit Überzeugungsarbeit zu meistern. "Wenn wir effizienter arbeiten, können die Handwerker entweder mehr verdienen oder sie sparen Zeit und sind früher zu Hause."
Geld und Freizeit sind wichtige Anreize. Ein Beweggrund, im Bau und Ausbau zu arbeiten, ist für Thomas Wagner in den vergangenen Jahren völlig aus dem Blickfeld geraten: die Sinnhaftigkeit der Berufe. "Diese Handwerker erfüllen ein Grundbedürfnis, denn jeder Mensch möchte in seinen vier Wänden Strom, Licht, Wärme und fließendes Wasser haben." Geht es nur noch ums Geld, dürfte das Handwerk im Kampf um die Fachkräfte gegenüber der Industrie schlechte Karten haben. Thomas Wagner ahnt etwa nichts Gutes, wenn er an die Gigafactory in Berlin-Brandenburg denkt. "Wenn der gut ausgebildete Elektroniker bei Tesla am Band steht, baut er zwar schöne, teure Autos. Gesellschaftlich gesehen wäre es aber viel wichtiger, wenn er sich darum kümmert, dass die Menschen Strom und Licht haben."
HörtippThomas Wagner hat sich im Podcast "Digitalwerk" mit Michél-Philipp Maruhn über die Automatisierung und Digitalisierung im Handwerk ausgetauscht. Diese und andere Folgen sind über die Plattformen Soundcloud, Spotify und iTunes verfügbar.
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