Auslandsaufenthalt muss selbstverständlicher werden
Klaus Fahle leitet die Nationale Agentur Bildung für Europa. Im Interview mit dem DHB erklärt er, wie sich die Mobilitätsquote im dualen System steigern lässt und wie wichtig die Arbeit der Mobilitätsberater ist.
Dieser Artikel gehört zum Themen-Special Berufserfahrung im Ausland sammeln
DHB: Bis 2020 sollen zehn Prozent aller Auszubildenden in Deutschland eine gewisse Zeit im Ausland verbracht haben. Ist diese Vorgabe realistisch?
Fahle: Alleine mit dem europäischen Bildungsprogramm Erasmus+ dürften wir in Deutschland 2020 bei fünf bis sechs Prozent liegen. Fraglich ist allerdings, wie viele junge Leute neben den öffentlich geförderten Programmen ins Ausland gehen. Zu dieser verdeckten Mobilität machen wir gerade eine Studie. Die Ergebnisse liegen im Herbst vor. Dann können wir eine Prognose abgeben, ob die Zehn-Prozent-Quote erreichbar ist. Dieses Jahr wird das Bundesbildungsministerium noch ein Pilotprojekt starten, das Auszubildenden weltweit einen Auslandsaufenthalt ermöglicht.
DHB: Können Sie abschätzen, wie viele Handwerksazubis ins Ausland gehen?
Fahle: Es dürften ungefähr 7.000 pro Jahr sein.
DHB: Ist das gut oder schlecht?
Fahle: Mit Blick auf andere Wirtschaftszweige ist das Handwerk eher unterrepräsentiert. Man darf aber eines nicht übersehen: Die Auszubildenden im Handwerk sind produktiv, ein wichtiger Teil der Wertschöpfungskette. Auf die möchte man als Chef nicht für vier bis sechs Wochen verzichten. Ein Student sagt einfach, dass er im vierten Semester für einen Monat nach Barcelona möchte. Das ist im Handwerk schwieriger. Das Lehrjahr muss passen, der Ausbildungsbetrieb und die Berufsschule müssen zustimmen ...
DHB: Andererseits heißt es aber auch, dass ein Auslandsaufenthalt die Jugendlichen bereichert.
Fahle: Davon müssen wir die Betriebe noch mehr überzeugen. Viele dieser jungen Menschen, die für vier bis sechs Wochen ins Ausland gehen, kommen aus einer behüteten Welt. Wenn sie alleine in einem kleinen Unternehmen in Kroatien, Schweden oder Italien arbeiten, müssen sie sich durchkämpfen und eigene Kontakte knüpfen. Die haben nicht nur eine schöne Zeit, sondern kehren verändert zurück. Sie sind stolz auf das, was sie geschafft haben. Sie sind flexibler, motivierter, selbstständiger. Das merken wir in den Gesprächen mit Ausbildern und Auszubildenden. Vor allem die personalen Kompetenzen – die Soft Skills – werden unheimlich gepusht. Von all dem profitiert auch der Betrieb.
DHB: Was muss passieren, damit noch mehr junge Berufstätige an Auslandsaufenthalten teilnehmen?
Fahle: Die Herausforderungen sind sehr vielschichtig. Zum einen müssen wir die jungen Leute selbst überzeugen. Das wollen wir mithilfe von Gleichaltrigen erreichen, die als Botschafter unterwegs sind und Erasmus+ beispielsweise in Schulen vorstellen. Zweitens brauchen wir einen viel systematischeren Zugang zu den Medien und zur Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit, um über die Möglichkeiten von Auslandsaufenthalten zu informieren. Dabei können uns auch die Kammern unterstützen, weil sie großen Einfluss in der regionalen Berufsorientierung haben. Punkt drei: Die internationale Dimension muss in der Ausbildung sichtbarer werden. Wir versuchen die Sozialpartner davon zu überzeugen, dass wir in den Ausbildungsordnungen einzelner Berufe bundesweite Zusatzqualifikationen oder Wahlbausteine brauchen. Last but not least: Wir müssen mehr betriebliche Ausbilder als Multiplikatoren gewinnen.
DHB: Im Handwerk steigt die Quote der Abiturienten. Wird sich dies positiv auf die Teilnehmerzahlen auswirken.
Fahle: Das würde ich sehr begrüßen. Allerdings bildet das Handwerk auch viele junge Leute mit einem niedrigen Schulabschluss aus. Ihnen einen Auslandsaufenthalt zu ermöglichen, finde ich viel spannender. Von Trägern, die sich um benachteiligte Jugendliche kümmern, hören wir: Wenn diese jungen Menschen ins Ausland gehen, streifen sie das Stigma des Sonderförderprogramms ab. Sie werden nicht mehr als Benachteiligte wahrgenommen, sondern als Einwohner dieses wirtschaftsstarken und erfolgreichen Deutschlands. Deshalb möchte ich an die Betriebe appellieren: Denkt bei Auslandspraktika nicht nur an Abiturienten, sondern probiert es auch mal mit Jugendlichen, die nicht so leistungsstark sind!
DHB: Was kann ein Programm wie Erasmus+ leisten, um die Euro-Skepsis zu bekämpfen?
Fahle: Angst macht alles Fremde. Sie lässt sich nur überwinden, indem man Menschen anderer Nationalitäten trifft und merkt, wie sie ticken. So entwickelt sich vor allem bei jungen Menschen die Freude an der Vielfalt. Erasmus+ kann also dazu beitragen, den Kitt für die europäische Idee zu liefern. Außerdem wissen wir von unseren Teilnehmern, dass sie erst durch ihren Auslandsaufenthalt gemerkt haben, wie sehr Deutschland sie geprägt hat.
DHB: Wie bewerten Sie die Arbeit der Mobilitätsberater bei den Kammern?
Fahle: Wir arbeiten sehr gerne mit ihnen zusammen. Unser Berufsbildungssystem ist dezentral aufgebaut. Deshalb brauchen wir diese Infrastruktur in der Fläche. Die Mobilitätsberater informieren über das Programm Erasmus+. Mithilfe von Pool-Projekte entsenden sie aber auch eigene Teilnehmer. Das Bundeswirtschaftsministerium fördert das Projekt der Mobilitätsberatung noch bis 2018. Wir unterstützen, dass dieses Netzwerk bestehen und langfristig erhalten bleibt. Deutschland investiert viel Geld in die Mobilität von Studierenden. An den Hochschulen gibt es die Akademischen Auslandsämter. Wenn die berufliche Bildung tatsächlich gleichwertig ist, muss auch für die Mobilitätsberatung der Kammern mehr Geld in die Hand genommen werden.
Zu den Mobilitätsberatern der Kammern
DHB: Dann läuft also alles rund mit den Mobilitätsberatern?
Fahle: Einen kleinen Wunsch hätten wir – wenn sie vor allem größere Unternehmen mit hauptamtlichen Ausbildern noch dazu ermuntern könnten, eigene Projekte zu starten und bei uns einen entsprechenden Antrag zu stellen. Wenn die Betriebe die Auslandsaufenthalte selbst organisieren, sind sie nicht auf andere angewiesen und verfügen über flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten. Klappt die Entsendung beispielsweise im Mai nicht, dann vielleicht im Juni oder Juli. Mit einem eigenen Projekt haben die Betriebe mehr Spielraum. Die Projekte, die wir fördern, haben eine Laufzeit von zwei Jahren.
DHB: Hinter Erasmus+ verbirgt sich mehr als die Mobilität in der beruflichen Bildung. Was leistet das Programm noch?
Fahle: In ganz Europa gibt es viele spannende und innovative Technologien. Unter Umständen fehlen aber die nötigen Qualifikationen, um sie weiter zu entwickeln. An diesem Punkt kommen wir ins Spiel. Wir fördern Projekte, bei denen Partner aus mindestens drei europäischen Ländern kooperieren. Deutsche Handwerksbetriebe und Kammern können so etwa mit ausländischen Einrichtungen ihr Know-how bündeln, um gemeinsame Curricula sowie Lehr- und Lernmaterialien für Fortbildungen zu erarbeiten.
Das Interview führte Bernd Lorenz; Foto: © Monika Nonnenmacher
Ein Aufenthalt in der Fremde will gut vorbereitet sein. Klaus Fahle empfiehlt zwei Informationsquellen. Die NA BIBB hat eine Plattform speziell für junge Leute geschaffen, die über das Programm Erasmus+ ins Ausland gehen wollen. Das Angebot umfasst eine Projektdatenbank, Erfahrungsberichte, Länderinfos und Checklisten. Wen es weiter in die Ferne zieht, sollte sich bei der Informations- und Beratungsstelle für Auslandsaufenthalte in der beruflichen Bildung (ibs) umschauen. Deren Datenbank enthält neben Erasmus+ auch zahlreiche Programme, die einen Aufenthalt im außereuropäischen Ausland ermöglichen. Interessenten können sich durch den Online-Auftritt klicken oder persönlich am Telefon beraten lassen.
Text:
Bernd Lorenz /
handwerksblatt.de
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