"Sie können als Politiker dem Handwerk nicht entgehen. Sie treffen immer und überall auf Handwerker", sagt Florian Hartmann.

"Sie können als Politiker dem Handwerk nicht entgehen. Sie treffen immer und überall auf Handwerker", sagt Florian Hartmann. (Foto: © WHKT / RG)

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"Als Politiker können Sie dem Handwerk nicht entgehen"

Handwerkspolitik

Rund ein Jahr ist Dr. Florian Hartmann Hauptgeschäftsführer des Westdeutschen Handwerkskammertags. Im Interview mit dem DHB spricht er über Erfolge und Ziele bei der Interessenvertretung.

Dr. Florian Hartmann führt den Westdeutschen Handwerkskammertag und die Landes-Gewerbeförderungsstelle des nordrhein-westfälischen Handwerks als Hauptgeschäftsführer. Er ist Fachanwalt für Verwaltungsrecht und war zuvor Geschäftsführer und Justitiar der Architektenkammer Nordrhein‐Westfalen.

DHB: Herr Dr. Hartmann, Sie leiten den Westdeutschen Handwerkskammertag jetzt seit gut einem Jahr. Welche Eindrücke haben Sie in dieser Zeit gewinnen können?
Hartmann: Das Handwerk ist sehr vielgestaltig aufgestellt. Wenn man von außen kommt, braucht man schon eine Zeit, um das alles zu erfassen. Aber ich bin sehr freundlich aufgenommen worden, das hat mir den Einstieg einfach gemacht. Die Arbeit ist sehr abwechslungsreich, es gibt ganz viele Themen. Da wird es niemals langweilig!

DHB: Was sind aktuell die wichtigsten Themen im nordrhein-westfälischen Handwerk?
Hartmann: Ein Thema wird jetzt gerade ganz akut. Das ist die knappe Kassenlage der öffentlichen Hand und ihre Auswirkungen auf das Handwerk. Ein anderes Thema ist der Zustand der Berufsbildungszentren des Handwerks. Hier muss dringend etwas getan werden. Die Bürokratiebelastung ist ein weiteres Problem, das die meisten Handwerksunternehmer, aber auch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Handwerk umtreibt. Es gibt zwar nicht den einen großen Bürokratietreiber, aber die vielen kleinen Regeln und Pflichten summieren sich und bringen so das Fass zum Überlaufen. Viele Betriebsinhaber fragen sich mittlerweile, wie sie das noch schaffen sollen. Bürokratie an sich ist ja nicht böse und ist an vielen Stellen nötig und sinnvoll, aber die Schraube ist überdreht.

DHB: Kommen die Regulierungen vom Land, Bund und aus Europa gleichermaßen?
Hartmann:
Nein, das Land setzt häufig nur um. Das Allermeiste beruht nicht auf Landesregelungen, sondern auf Vorgaben des Bundes oder der Europäischen Union. Trotzdem können auch das Land und die Kommunen etwas gegen die Bürokratiebelastung tun. Gesetze lassen ja Spielräume zu, die werden von den Verwaltungsangestellten aber immer weniger genutzt, vieles wird sehr eng ausgelegt. Das passiert gar nicht aus böser Absicht, sondern ist auch eine Folge des Fachkräftemangels in den Verwaltungen auf der einen Seite und der Masse an Normen und Vorschriften andererseits. Die Menschen sind schlicht überfordert von dieser Normenflut – und zwar auf beiden Seiten des Schreibtischs: als Handwerker und als Mitarbeiter der Verwaltung.

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Die Arbeit sei sehr abwechslungsreich, es gebe ganz viele Themen im Handwerk. Da wird es niemals langweilig, betont Hartmann. Foto: © WHKT / RGDie Arbeit sei sehr abwechslungsreich, es gebe ganz viele Themen im Handwerk. Da wird es niemals langweilig, betont Hartmann. Foto: © WHKT / RGDHB: Sie haben den Fachkräftemangel angesprochen. Der wird zumindest mittel- und langfristig noch viel stärker und branchenübergreifend ein kaum zu lösendes Problem in Deutschland werden. Wo bekommt das Handwerk künftig seine Leute her?
Hartmann:
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, etwa die Fachkräftezuwanderung. Wichtiger und aus meiner Sicht auch erfolgversprechender ist aber, hier mehr Leute für das Handwerk zu begeistern. Das kann sich an diejenigen richten, die schon von woanders her zu uns gekommen sind. Ich glaube, da haben wir ein großes Reservoir. Das wäre auch im Sinne der Gesellschaft, diese Menschen und ihre Fähigkeiten ins Handwerk einzugliedern. Dann geht es aber auch um junge Menschen, die schon in Deutschland leben. Besonders im Blick haben sollten wir dabei auch die Gymnasien. Über kurz oder lang wird das Abitur wie ein High-School-Abschluss in den USA werden: Den hat jeder. Deswegen müssen wir in den Gymnasien noch mehr für das Handwerk werben. Es muss uns dort noch mehr gelingen, zu zeigen, welche Chancen da sind – auch im Hinblick auf das Unternehmertum. Als Geselle sind die Karrieremöglichkeiten im Handwerk ja noch lange nicht ausgeschöpft.

DHB: Könnte eine verbesserte Ausbildungsfähigkeit junger Menschen einen Beitrag leisten, den Fachkräftemangel zu lindern?
Hartmann:
Schule muss sich mehr auf die Kernkompetenzen konzentrieren – rechnen, schreiben, lesen. Ich habe den Eindruck, dass unsere Schulministerin Dorothee Feller das genauso sieht. Es ist aber auch wichtig, wieder mehr haptische Fähigkeiten zu vermitteln. Auch da stoßen wir, jedenfalls im Schulministerium, auf offene Ohren. Jetzt muss es aber auch in den Schulen umgesetzt werden.

DHB: Das Handwerk wird auf verschieden politischen Ebenen immer mehr wahrgenommen. Besonders gilt das für Nordrhein-Westfalen. Ist das auch Ihr Eindruck nach einem Jahr als Hauptgeschäftsführer des WHKT?
Hartmann:
Ja, das ist so. Mit mir hat das aber nichts zu tun. Ich bin ja der Neue. Die Vielgestaltigkeit der Handwerksorganisationen ist ein Vorteil. Sie können als Politiker dem Handwerk nicht entgehen. Sie treffen immer und überall auf Handwerker. Sei es organisiert oder als Betriebsinhaber oder Geselle. Und wir haben eine Landesregierung, die durchaus handwerksaffin ist. Das gilt sowohl für die CDU als auch für die Grünen. Das war nicht immer so. Interessenvertretung macht natürlich mehr Freude, wenn man angehört wird. Auf der anderen Seite müssen wir dann auch etwas liefern. Mit Blabla kommen wir nicht weit. Die Politik braucht konkrete Vorschläge und die liefern wir als Handwerksorganisation – übrigens auch der Opposition, mit der wir ebenfalls in einem konstruktiven Austausch sind.

DHB: Ist das ein Grund, warum das Handwerk jetzt mit der kleinen Bauvorlagenberechtigung für Handwerksmeister nach langem Kampf einen großen Erfolg feiern konnte?
Hartmann:
Ja, das ist handwerkspolitisch ein gigantischer Erfolg und ein sichtbares Zeichen für die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Nach einer Zimmererlehre und der Meisterfortbildung kann der Handwerker nun faktisch das machen, was ein studierter Architekt kann. Derzeit in der Gebäudeklasse eins und zwei, aber das passt schon mal. Jetzt müssen wir den Erfolg mit Leben füllen. Ich hoffe, dass wir bald eine mindestens dreistellige Zahl auf der Liste der Berechtigten haben. Die Kurse können gebucht werden und wir werben dafür, dass möglichst viele das machen.

DHB: Welche Ziele gibt es bei der Interessenvertretung noch auf mittelfristige Sicht?
Hartamnn:
Ein herausragender Erfolg wäre es auch, wenn wir die Festschreibung der Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung in der Landesverfassung hinbekämen. NRW wäre bundesweit das erste Land. Ich würde diesen Erfolg mitnehmen, wenn ich die Landespolitik wäre. Klar ist natürlich auch: Nach einer Verfassungsänderung gäbe es keine einzige Fachkraft zusätzlich, aber meiner Meinung nach funktioniert es nur Top-down. Es muss oben, in der Verfassung, stehen. Alles andere kommt dann, etwa mehr Handwerk in der Schule oder moderne Berufsbildungszentren für das Handwerk. Vergleichbar mit den akademischen Bildungseinrichtungen. Da wären wir schon bei einem weiteren wichtigen Ziel: Die Mittel für die Modernisierung unserer Berufsbildungsstätten müssen dringend aufgestockt werden. Wir haben für NRW einen Investitionsbedarf von 1,3 Milliarden Euro ermittelt. Hier sind Bund und Land gefordert. Ein weiterer Punkt ist die deutliche Straffung der Verfahren. Es darf nicht mehr zehn bis 15 Jahre dauern, bis wir eine Bildungsstätte modernisieren können. Auch hier sind Bund und Land gefragt, diese Prozesse deutlich zu verschlanken. Wir haben konkrete Vorschläge gemacht. Außerdem arbeiten wir an einer besseren Beteiligung des Handwerks bei der kommunalen Wärmeplanung und am Mutterschutz für Selbstständige. Das würde auch gegen den Fachkräftemangel helfen. Wir können nicht die Hälfte der Gesellschaft unter dem Radar laufen lassen. Da müssen wir uns was einfallen lassen.

Das Interview führte Lars Otten

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Text: / handwerksblatt.de

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